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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle
Autoren: Karla Schmidt
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bisschen an ihr
festhalten.
    Â»Josef. Wie geht es dir?«
    Â»Gut. Bestens. Schön, dich zu sehen.«
    Janina lächelte. »Ich freue mich auch. Es ist lange her.«
    Rost nickte. »Jahre.«
    Janinas Lächeln wurde ein wenig steif. Sie war wütend. Er hatte es
gewusst. Er hatte gewusst, dass sie ein Drama daraus machen würde. Doch er war
nicht bereit, darauf einzugehen. Dazu hatte er einfach keine Zeit. Er musste
die Inszenierung über die Bühne bringen.
    Â»Setz dich erst mal«, sagte er. »Schau, wir haben alles fertig, wir
proben fast von Anfang an mit kompletter Bühne. Es fehlt eigentlich nur noch
der Kreisel. Phantastisch, oder?«
    Er streichelte eine mit roter Farbe und weißlichem Latex überzogene
Absperrung, die den Zuschauerraum von den bröckelnden Wänden trennte. Wenn man
ein wenig mit dem Fingernagel kratzte, dann schälte sich die Latexschicht ab.
Sie würden die Bühne vor jeder Vorstellung neu präparieren müssen. Die Haut
würde jedes Mal in Fetzen hängen. Janina sah sich flüchtig um, nickte.
    Â»Es sieht toll aus. Der ganze Ort hier ist ziemlich beeindruckend«,
sagte sie, aber es klang matt. Sie schien weniger beeindruckt, als Rost
erwartet hatte.
    Und dann klappten die hohen, geschnitzten Türflügel auf, und die
anderen kamen.
    Janina seufzte. Die Chance, sich mit Rost auszusprechen,
war verflogen.
    Er stieg mit einem großen, ächzenden Schritt auf das Bühnenpodest,
die Arme ausgebreitet, ein breit gezogenes Lächeln im Gesicht, das dennoch fahl
und schlaff wirkte.
    Rost sah schlecht aus. Viel schlechter, als Janina ihn in Erinnerung
hatte, und obwohl in ihrem Inneren etwas zitterte, eine Mischung aus Wut,
Nervosität und Wiedersehensfreude, war die Traurigkeit über seinen Zustand am
stärksten: abgemagert und trotzdem teigig, wie eine Wasserleiche. Und mit
seinem Blick stimmte etwas nicht. Es sah aus, als ob sein linkes Auge plötzlich
schielte und aus dem Kopf hervortrat.
    Warum hatte er sich nicht gemeldet? Warum hatte er nicht erzählt,
wie schlecht es ihm ging? Ist er darum aus ihrem Leben verschwunden? Sie waren
doch beinahe so etwas wie eine Familie gewesen.
    Janina wischte sich mit der Handkante das Nasse aus den Augen und
wartete mit im Schoß verschränkten Händen und gesenktem Blick, bis Rost jeden
einzelnen Neuankömmling mit einem Händedruck begrüßt hatte.
    Es ging ein manischer Ernst von ihm aus, und zumindest darin
erkannte Janina ihren alten Choreographen und Regisseur wieder: In dem Moment,
in dem eine Produktion begann, lebte Rost nur noch für die Bühne. Es gab nichts
anderes mehr auf der Welt, keine anderen Fragen, Bedürfnisse, Entschuldigungen.
Er begab sich ganz in die Sache hinein, und er verlangte dasselbe von seinen
Tänzern und allen anderen Mitarbeitern. Ein bisschen hatte sie Rost immer um
seine Fähigkeit zur Besessenheit beneidet. Es musste etwas sehr Befreiendes haben,
sich selbst und das Menschsein zumindest zeitweilig vergessen zu können.
    Als sie ihre Emotionen wieder unter Kontrolle hatte, putzte sich
Janina die Nase und sah sich um. Inzwischen waren etliche Stühle besetzt. Rost
hatte zur ersten Disposition alle Mitarbeiter bestellt, vom Star bis zum Bühnenlehrling,
und Janina ließ den Blick über die mittlerweile gut dreißig Köpfe schweifen.
Simon war nicht dabei.
    Janina empfand einen Anflug von Unwillen. Er war schon nicht beim
Frühstück gewesen. Ob sie sich Sorgen machen musste? Oder ob er einfach nur
ausschlief? Schließlich hatte er hier nicht einmal eine Aufgabe. Also musste er
auch nicht zur Disposition erscheinen.
    Dann humpelte DeeDee den Mittelgang zwischen den Stühlen entlang,
ihr Gehstock pochte auf den geröteten Betonboden.
    Für sie stieg Rost sogar vom Bühnenpodest herab, Umarmung, Küsschen
rechts und links. Er schwankte ein wenig, und Janina fragte sich, ob er
betrunken war. Sie beschloss, ihn in den nächsten Wochen nicht aus den Augen zu
lassen, und sie hielt den Blick fest auf ihn gerichtet, als DeeDee sich neben
sie setzte. Sie hörte, wie hinter ihr die Türen der Halle geschlossen wurden.
    Rost stieg wieder auf die Bühne, breitete erneut die Arme aus.
    Â»Willkommen, Leute.« Er atmete schwer. »Ich bin froh, dass ich euch
alle gekriegt habe. Ihr seid meine absolute Wunschbesetzung, jeder Einzelne auf
seinem Posten, und ich sag euch, ich habe bei manchen von euch
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