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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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hatte er alles gelernt, was er jetzt über Insekten wußte. Der Professor war freundlich gewesen, und als dieser gefragt hatte, wieso ein älteres Semester sich plötzlich vom kleinsten Getier faszinieren ließ, hatte er nur geantwortet, das wisse er eigentlich selber nicht. Er hatte in den Sälen des biologischen Instituts farbige Tafeln und in Spiritus eingelegte Insekten studiert, die schwerelos in den stummen Regalen in ihren Gläsern schwebten. Er hatte gelernt zu unterscheiden und zu identifizieren, hatte Flügel ausgerissen und Leiber aufgeschnitten. Gleichzeitig hatte er sich bemüht, etwas über Wüsten zu erfahren, über den afrikanischen Kontinent, der noch zu großen Teilen unbekannt war. Aber in Lund hatte es keinen Professor gegeben, der etwas über Wüsten wußte, und kaum einen, der sich mit Afrika auskannte. Er hatte alles gelesen, was er auftreiben konnte, und war mehrmals in Kopenhagen gewesen, um in Nyhavn Seeleute aufzusuchen, die nach Kapstadt oder Dakar gefahren waren und etwas über Afrika zu erzählen hatten.

    Er hatte niemanden in seine Pläne eingeweiht, außer Matilda. Sie besuchte ihn jeden Donnerstag zwischen vier und sechs Uhr nachmittags. Außer daß sie miteinander schliefen, immer in der gleichen Stellung, sie auf ihm, wusch sie seine Hemden, und danach tranken sie Portwein und schwatzten. Matilda war neunzehn und aus Landskrona geflüchtet, nachdem ihr Vater erst versucht hatte, sie zu vergewaltigen, und anschließend, sie anzuzünden. Für kurze Zeit hatte sie als Dienstmädchen gearbeitet, bis sie die Schürze und die Unterwürfigkeit ablegte und den Weg ins Bordell fand. Sie war flachbrüstig, aber sanftmütig, und er hatte keine anderen Ansprüche an die Erotik, als daß sie sanftmütig sein sollte, weder qualvoll noch ekstatisch. Ihr erzählte er von der Reise, die er im folgenden Jahr anzutreten gedachte, zu Beginn des Frühlings, wenn es in Südafrika nicht zu warm war, wie er meinte. Sie hatte ihm zugehört, ohne ein anderes Interesse, als daß sie sich jetzt einen neuen Stammkunden suchen müßte.
    Einmal hatte er ihr vorgeschlagen, sie solle mitkommen.

    - Ich fahre nicht übers Meer, hatte sie erregt erwidert. Da stirbt man, sinkt auf den Boden und kommt nie wieder hoch.
    Mehr war nicht gesagt worden.
    Der Winter in Schonen war in diesem Jahr sehr mild. Anfang Mai brach Bengler aus der Prästgatan auf. Zu seinen wenigen Freunden hatte er gesagt, er würde sich auf eine kürzere Reise durch Europa begeben. Bald würde er wieder zurück sein.

    Ein Fischerboot nahm ihn nach Kopenhagen mit. Drei Wochen lang wo hnte er unter Seeleuten in einer billigen Herberge in Nyhavn. An einem Sonntag schaute er bei einer Enthauptung zu. Das Theater besuchte er nie, auch in die Museen ging er nicht. Er unterhielt sich mit den Seeleuten und wartete. Sein Gepäck hatte er auf ein Minimum reduziert. Alles fand in einer einfachen Kiste Platz, die er auf dem Dachboden des Hauses in der Prästgatan entdeckt hatte. Er hatte seine Karten, Tafeln und Bücher eingepackt. Mehrere Hemden, ein Paar Hosen zum Wechseln, Lederstiefel. In Kopenhagen hatte er sich einen Revolver und Munition gekauft. Das war alles. Sein Geld hatte er in Gold umgetauscht. Er trug es in einem Lederbeutel unter dem Hemd.

    Außerdem hatte er sich die Haare sehr kurz geschnitten und angefangen, sich einen Bart stehen zu lassen. Und er wartete.

    Am 23. Mai erfuhr er, daß ein englischer Schoner, »Der Fuchs«, von Helsingør nach Cardiff fahren würde, und dann weiter nach Kapstadt. Am selben Tag verließ er seine Herberge und nahm den Postwagen nach Helsingør. Er suchte den Kapitän des schwarz gestrichenen Schoners auf und erhielt die Erlaubnis, als Passagier mitzufahren. Eine eigene Kabine konnte er jedoch nicht bekommen. Für die Reise zahlte er ungefähr die Hälfte von dem Inhalt des Lederbeutels.
    Am Abend des 25. Mai verließ »Der Fuchs« den Hafen von Helsingør. Er stand an der Reling und fühlte, wie auch in seinem Inneren eine Fahrt begann. Hinter dem Brustbein hatte er Masten, an denen Segel gehißt wurden. Etwas zog an ihm, als wäre sein Herz mit einem Strick zusammengeschnürt gewesen. Plötzlich bekam er Lust, für einen Augenblick wieder zum Kind zu werden. Auf dem sauber gescheuerten Deck Seil zu hüpfen, zu plappern, zu kriechen, laufen zu lernen.
    In dieser Nacht schlief er tief und fest.

    Am folgenden Tag, in der Morgendämmerung, hatten sie Skagen schon passiert und befanden sich in einer anderen
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