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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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Peitsche. Langsam, als würde er im Schlaf die Ochsen treiben, schlug er auf ihre Rücken ein. Bengler blieb stehen. Was er sah, war vollkommen unbegreiflich. Einer der Ochsentreiber, mitten in der Nacht, nackt, mit wippendem fetten Bauch, der langsam, wie in Trance, wieder und wieder auf die Rücken der Ochsen eindrosch. Er dachte, daß er eingreifen müßte, Neka die Peitsche aus den Händen reißen, vielleicht die Schlafenden am Feuer wecken, dann Neka an einen Baum binden und ihn auspeitschen lassen. Menschen, Treiber wie Träger, hatte Wackman erklärt, könne man auf diesem eigentümlichen Kontinent in beliebiger Anzahl bekommen. Aber gute Ochsen seien kostbar und selten. Also müsse man Ochsen gegen Menschen abwägen, die Ochsen schützen, während einem die Menschen auf Gnade und Ungnade ausgeliefert wären. Aber er blieb stehen. Neka schien zu schlafen, während er da stand und schlug. Er schwankte, als würden die Peitschenschläge eigentlich ihn selber treffen, sein eigenes Fleisch zum Zittern bringen und nicht die dicke Haut der Ochsen.

    Plötzlich war es vorbei. Neka ließ die Peitsche fallen und drehte sich um. Bengler zog sich hastig zurück, tiefer ins Dunkel hinein. Würde er entdeckt, müßte er eingreifen. Neka bestrafen. Aber Neka hatte ihn nicht gesehen. Er stolperte zum Feuer zurück, rollte sich zusammen und schien im selben Moment einzuschlafen, in dem er die Augen schloß.

    Er ging zu den Ochsen hinüber. Strich mit einer Hand über einen der Rücken und hatte Blut an der Handfläche. Danach drehte er sich um und ging zurück zum Feuer. Ich könnte diese Menschen erschießen, dachte er. Der Reihe nach. So sehen die Dynastien auf diesem Kontinent aus. Die da liegen, zusammengerollt, schmuddelig, gehören zu den niederen Ständen. Während ich, ein gescheiterter Student aus Småland, Mitglied einer Dynastie bin, die aus den Stärksten besteht, aus denjenigen, die die Macht besitzen.
    Er kehrte zum Zelt zurück. Eine Eidechse saß neben der Kerze und beobachtete eine Ameise, die sich langsam näherte. Dann schoß die Zunge aus dem Maul, und die Ameise war weg.
    In dieser Nacht nahm er einen weiteren Eintrag in seinem Buch vor. Er schrieb an Matilda: Wünschte, ich hätte in dieser Nacht den Mut gehabt, einem meiner Ochsentreiber mit der schweren Peitsche den Rücken aufzuschlitzen. Aber soweit bin ich noch nicht. Würde ich jetzt schlagen, würde es mich quälen. Erst wenn ich weiß, daß diese Handlung mir selbst keinen

    Schmerz mehr bereiten wird, nur dem, dem der Rücken zerfetzt wird, werde ich es tun.

    Er rollte das Tagebuch in das Biberfell, das es vor Feuchtigkeit und Insekten schützen sollte, löschte das Licht und legte sich hin.
    Ich suche nach einer unbekannten Fliege, dachte er. Wie andere Menschen nach einem Gott suchen. In der Wüste hoffe ich sie zu finden. Aber Wackman mit seinem Bordell, seinen Huren und seinen eigentümlichen Ohren hat bestimmt schon nach Hause an die Haushälterin meines Vaters geschrieben und mitgeteilt, ich wäre gescheitert, ich ruhte in einem unbekannten Grab.

    Obwohl er sehr müde war, lag er bis in die Morgendämmerung schlaflos da.

    Am folgenden Tag zogen sie weiter, an den niedrigen Bergen vorbei, und erreichten gegen Abend die Kalahariwüste.

    5

    In der Ferne sahen sie eine Gruppe von Buschmännern vorbeiziehen.
    Sie wirkten wie schwarze Punkte auf dem gleißenden Sand. Daß es Menschen waren und nicht Tiere, merkten sie an den Ochsen. Sie hatten etwas gewittert, dann aber entschieden, daß keine Gefahr drohe.
    Zu diesem Zeitpunkt befanden sie sich bereits zwei Monate und vier Tage in der Wüste. Es war das erste Mal, daß ihnen Menschen begegneten. Bis dahin hatten sie nur eine kleine Herde von Zebras gesehen und Spuren von Schlangen, die über die Sandkämme hinunterringelten.

    Bengler hatte neun Kilo abgenommen. Natürlich hatte er sich nicht wiegen können, aber er wußte trotzdem, daß es genau neun Kilo waren. Die Hosen flatterten ihm um die Beine, sein Brustkorb war eingesunken, die Wangen, die jetzt ein Bart bedeckte, waren hohl. Und nachts träumte er, er würde langsam vom Sand begraben. Als er versuchte, laut zu schreien, kam kein Laut, da seine Stimmbänder eingetrocknet waren.

    Irgendwo war etwas schiefgegangen. Den Karten zufolge, die Wackman ihm besorgt hatte, hätten sie den zentralen Ort Windhoek in Deutsch-Südwestafrika vor einer Woche erreichen sollen. Aber nichts als karge Berge, Sand und verstreute Büsche hatten auf
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