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Die rote Agenda

Die rote Agenda

Titel: Die rote Agenda
Autoren: Liaty Pisani
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konnte, und unmissverständlich gesagt, das Archiv gehöre zum Erbe von Jean
Doyle, deren Wunsch es gewesen sei, es der British Library zu vermachen. Doch
niemand außer ihm schien daran interessiert, diese unschätzbar wertvolle
Sammlung in England zu halten, die aus ungefähr dreitausend Briefen und zu
achtzig Prozent noch unveröffentlichten Manuskripten bestand. Eine Goldgrube
für einen Biographen.
    Er sah auf
die Uhr, er hatte noch ungefähr eine halbe Stunde Zeit bis zu der Verabredung
mit Peter, also beschloss er, einen weiteren Versuch zu unternehmen, seinen
Freund Paolo Astoni in Turin telefonisch zu erreichen. Er hatte es schon am
Nachmittag aus dem Auktionshaus versucht, um mit ihm über die Agenda zu
sprechen, weil er sich sicher war, dass er ihm einen Rat geben könnte. Auch
wenn es nun, wie er zugeben musste, etwas spät dafür war, Rat zu erbitten.
    Er wählte
die Nummer und lauschte lange, wie das Telefon ins Leere klingelte. Schließlich
legte er auf. Astoni hatte [17]  keinen Anrufbeantworter, und Lowelly Grey nahm
sich vor, ihn später anzurufen.
    Professor
Paolo Astoni war Mitglied der englischen und der italienischen
Sherlock-Holmes-Gesellschaft. Der angesehene, seit einigen Jahren emeritierte
Professor für Philosophie an der Universität Turin war Verfasser einer ganzen
Reihe von recht erfolgreichen Büchern über den Detektiv, die auch in England
veröffentlicht worden waren. Richard hatte ihn vor fünf Jahren bei einem
Kongress anlässlich der Jahrestagung der englischen Sherlock Holmes Society im
schweizerischen Meiringen kennengelernt, und sie hatten sich gleich
angefreundet. Paolo sprach ausgezeichnet Englisch, weil er als junger Mann
einige Jahre in Cambridge verbracht hatte. Er und Richard telefonierten häufig
miteinander und trafen sich wenigstens einmal im Jahr bei den Kongressen und
Zusammenkünften der Gesellschaft. Trotz des Altersunterschieds verband sie eine
wahre Freundschaft.
    Häufig
hatten sie sich über die furchtbaren blutigen Ereignisse in Italien
unterhalten, und sie stimmten darin überein, dass das, was in diesem Land – wie
übrigens auch anderswo – geschah, insgeheim nicht nur im In-, sondern auch im
Ausland geplant wurde. Dass die Agenda nach so vielen Jahren in England
wiederaufgetaucht war, bestätigte diese These. Nur Paolo Astoni würde ihm sagen
können, wie er sich verhalten sollte, denn er war Italiener, und der Inhalt der
Agenda betraf die Geschichte seines Landes.
    Einen
Augenblick überlegte Lowelly Grey, ob er die Verabredung mit Peter absagen
sollte. Dann hatte er eine Idee: Er würde den Freund bitten, ihm einen
einfachen, aber wichtigen Gefallen zu tun.

[18]  2
    Paolo
Astoni kam kurz nach zweiundzwanzig Uhr aus dem Restaurant zurück. Er war müde,
und das Kopfweh, das ihn seit dem Nachmittag plagte, hatte auch beim Essen
nicht nachgelassen. Am nächsten Morgen musste er um zehn im Palavela sein, um
die Proben zur Großen Eiskunstlaufgala anzusehen, bei der auch Alberto Asnaghi,
Sohn eines seiner ehemaligen Studenten, teilnehmen würde. Daher beschloss er,
sofort zu Bett zu gehen.
    Die
Nachricht von Richards Tod traf ihn am nächsten Morgen wie ein Faustschlag in
den Magen. Willington, ein Mitglied der englischen Sherlock Holmes Society,
rief ihn an, als er gerade das Haus verlassen wollte, und teilte ihm mit, dass
Richard tot sei. Man hatte ihn in seinem Haus in Kensington garrottiert.
Astoni, der tags zuvor keine Zeitungen gelesen hatte, war wie versteinert.
    »Wann ist
das denn passiert?«, fragte er bestürzt.
    »Vorgestern
Nacht. Ein furchtbares und unerklärliches Verbrechen. Oder ein ungewöhnlicher
und unerklärlicher Selbstmord. Die Zeitungen der ganzen Welt haben die
Nachricht sofort verbreitet, und die Hypothesen überschlagen sich. Man
vermutet, es war ein Raubüberfall, der tragisch endete. Die Wohnung ist
tatsächlich auf den Kopf gestellt und das Bücherregal ausgeräumt worden, die
Bücher liegen [19]  kreuz und quer auf dem Boden. Wenn es sich nicht um Selbstmord
handelt«, schloss der Engländer, »hat der Mörder offensichtlich etwas gesucht.«
    Nachdem er
noch einige Worte mit Willington gewechselt hatte, legte Astoni erschüttert
auf. Er hatte noch vor ein paar Tagen mit Richard telefoniert, und dieser war
ihm vollkommen normal vorgekommen, vielleicht ein bisschen nervös wegen der
Versteigerung bei Sommer’s. Soweit er wusste, hatte er keinen Grund, sich
umzubringen, und wenn er einen gehabt hätte, hätte er gewiss nicht
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