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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Rollbahn, über die Panzer, Muniwagen, Pferdewagen und Sanitätsautos, die an ihnen vorbeifuhren und aus denen sie das Schreien und Wimmern der Verwundeten hörten. In ihren Herzen war Angst, zitternde, helle, schreiende Angst … aber ihre Beine setzten sich voreinander, sie marschierten … über die Rollbahn, über die Feldwege, dem Grollen in der Ferne entgegen, von dem Leutnant Vogel beim Abschied zu ihnen sagte:
    An der Front ist der Platz eines richtigen Deutschen! Kämpft wie die Goten und fallt mit einem Hurra auf den Lippen! Ihr seid die Erben von Langemarck! – Rechts um – Kompanie, marsch!« Marsch in das Grauen … in die Angst … in die Hoffnungslosigkeit … in den gestammelten Gedanken: Mutter, o Mutter, bitte Gott, daß er uns beschützt –
    35 Mann, auf die Hauptfeldwebel Kunze wartete, um aus ihnen richtige Soldaten zu machen …
    Auf dem Bahnhof von Königsberg, Gleis 10, stand der Fronturlauberzug Nr. 17 abfahrtbereit.
    Ein langer Zug. 25 Wagen mit zwei Küchenwagen, drei Offiziers-D-Wagen und einem fahrbaren Revier. Ein schöner Zug, den BdM-Mädchen mit einigen Blumen bekränzten und an dem Rote-Kreuz-Schwestern entlanggingen und aus großen Kübeln Ersatzkaffee verteilten.
    Auf dem Bahnsteig stauten sich die Urlauber. Zwar hatte der Transportoffizier schon viermal »Einsteigen!« gebrüllt, aber ein Fronturlauber, der weiß, daß dies der letzte Urlaub sein kann, läßt sich nicht eine Minute nehmen, die zu seinem Urlaub gehört. Mit dem Betreten des Waggons begann der Dienst … durch die Gänge des Zuges drängten sich bereits die Feldgendarmen und kontrollierten die Marschbefehle.
    Unteroffizier Fritz Leskau nestelte an dem Band seines EK und sah auf Inge Hellwag hinab; Sie blickte ihn aus ihren großen braunen Augen ermunternd an, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf den schmalen, verkniffenen Mund.
    »Wenn du wiederkommst, ist vielleicht Frieden«, sagte sie. »Bestimmt ist Frieden, Fritz. Es kann so nicht mehr lange gehen.«
    Unteroffizier Leskau nickte. Er wollte etwas Nettes sagen, etwas so Ermunterndes wie Inge, aber er würgte an den Worten und kam sich elend vor in diesen Minuten des Abschieds.
    Er umfaßte mit beiden Händen Inges Schultern und zog sie zu sich heran. Es wird bestimmt Frieden sein, Inge, dachte er. Bestimmt. Und dann werde ich vor deinen Vater treten und zu ihm sagen: Herr Hellwag, Sie kennen mich noch als kleine Rotznase, wie ich auf den Königsberger Straßen Räuber und Schutzmann spielte. Heute stehe ich vor Ihnen als ein Mann. Dreimal verwundet, EK I und II, Unteroffizier, weil ich mich weigerte, Reserveoffizier zu werden. Ich wollte studieren. Philosophie – dumm, nicht wahr? Wer studiert heute noch Philosophie, wo eine Welt aus den Angeln geht und die Humanität ein Märchen für Großmütter geworden ist? Wer interessiert sich für die schöne Seele, wo es heißt: Alles, was nicht arisch oder unserer Meinung ist, hängen wir auf. Einfach auf! Auf eine leere Benzintonne gestellt, Strick um den Hals, Strick an einen Haken, Tritt gegen die Tonne – aus! Die Lösung aller Probleme, die Vereinfachung des Lebens auf einen Nenner: Weg. Aber ich bin aus der alten Zeit, Herr Hellwag, wie Sie – ich will Philosophie studieren. Darum weigerte ich mich, die Offizierslehrgänge mitzumachen. Sehen Sie – so ein Mann bin ich. Eigentlich ein Idiot. Und dieser Idiot steht vor Ihnen und bittet Sie um die Hand Ihrer Tochter Inge …
    Leskau lächelte schwach und sah in Inges braune Augen.
    »Es war ein kurzer Urlaub, Inge.«
    »Zu kurz, Fritz. Was sind 14 Tage nach 2 Jahren? Wir hatten gerade begonnen, uns daran zu gewöhnen, daß wir nicht mehr Kinder sind, sondern erwachsene Menschen … da sagtest du: Inge, morgen fährt mein Zug. Zurück nach Rußland …«
    Leskau sah über Inge hinweg auf den wimmelnden Bahnsteig.
    »Es war gestern abend … draußen am Pregel … die Sonne ging unter wie Blut …«
    »Und dann sagtest du etwas sehr Häßliches. Weißt du es noch?«
    Fritz Leskau nickte: »Ich sagte: Zurück zum Sterben –«
    Durch Inges schmalen Körper zog ein Frieren. Sie lehnte den Kopf an Leskaus Brust und schloß die Augen. Ihre Stimme war ganz klein, ganz kläglich.
    »Wir wollen nie mehr davon sprechen, Fritz … nie mehr! Du kommst wieder … du mußt wiederkommen. Wir haben doch noch nicht alles gesagt … es ist doch soviel, was nicht ausgesprochen wurde … Was wir denken, was wir fühlen, was wir wollen, was wir ersehnen und
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