Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
aufpassen, Fritz.«
    Den Zug entlang rannte einer der Bahnhofsoffiziere. »Alles einsteigen!« brüllte er. »Der Zug fährt in 3 Minuten ab! Einsteigen!«
    Die Lok, außerhalb der großen, gläsernen Halle, blies Rauch ab. Zischend stob er in den blaßblauen Himmel, eine weiße Wolke, die sich unter der grellen Sonne zerteilte und sich auflöste in Streifen, Punkten und farbloser, flimmernder Luft.
    Unteroffizier Leskau bückte sich und nahm seinen Holzkoffer vom Bahnsteig. Hinter ihm, in seinem Wagen, sangen die anderen bereits … aus dem heruntergelassenen Fenster donnerte der Gesang über die wartenden oder abschiednehmenden Menschen.
    Der letzte Heimatschnaps wurde bereits versoffen, die letzten Zigaretten, Marke ›Bahndammraub‹, wurden verteilt. Schwitzend wurden Koffer auf die Knie gelegt, Karten herausgeholt und Skat gespielt. Jungs … noch eine Partie … und dann noch hundert Partien bis Orscha. Bis der Mist wieder beginnt. Hinter Warschau begann es schon. Partisanen, gesprengte Züge, Bomben zwischen den Schienen, nächtlicher Beschuß aus den Wäldern, Baumstämme auf den Gleisen … Eine Sauerei, Jungs. Immer dasselbe, wenn man in Urlaub fährt oder aus ihm zurückkommt: Du weißt nie, ob du ankommst. Irgendwo in der unendlichen Weite des östlichen Landes lauert der Tod … hinter einem Bahndamm, einem Baum, in einem Sumpf, einer Erdhöhle, in den breiten Kronen der Kiefern, hinter einem Heuschober … überall liegt der Tod … tausend Kilometer lang zwischen Königsberg und der Front bei Orscha. Darum, Jungs – sauft und raucht und klopft euren Skat! Nach uns die Sintflut!
    Wenn wir erst in Rußland sind, gibt's Machorka und einen milchigen Knollenschnaps, nach dessen Genuß du drei Tage lang verblödest. Wir bekommen ihn immer, wenn Rabatz im Anzug ist. Hier, Kinder, sagt dann der Furier oder sagen es die Essenträger. Jeder einen halben Liter! Dann wissen wir es schon: Wir müssen Bunker knacken oder 'ne Stellung aufrollen. Was, bei euch auch? Schnaps und Heldentum? Ist ja überall der gleiche Scheißdreck! Kommiß bleibt eben Kommiß. Beim Barras ist alles gleich wie bei eineiigen Zwillingen – ob am Wolchow oder auf der Krim, in den Pripjet-Sümpfen oder auf den Waldai-Höhen … Es stirbt sich leichter mit einem besoffenen Kopf, und man merkt es nicht so sehr, wenn das Händchen weggeschossen wird, der halbe Hintern fehlt oder Mamas Sohn mit offenem Gehirn schreiend über die Steppe kriecht und sich Erde in den Mund stopft, weil er seine eigenen Schreie nicht mehr hören kann.
    Drum, Jungs – noch ein Lied! Und 'nen Becher Cognac von Muttern – Lebensmittel-Sonderkarte, Abschnitt V. Alle haben sie zusammengelegt … Vater, Mutter, Max, Emil und Erna. Das gab ¾ Liter Cognac. Ziemlich dünnen Cognac, aber immer noch besser als der Iwanschnaps.
    Prost, Kinder! Ist ja doch alles Scheibenhonig! Urlaub zu Ende, wieder 'raus in den Dreck, ein paar Gedanken an die 14 Tage bei Ida … und nach 3 Monaten bringt dir der Spieß vielleicht 'nen Brief von der Ida: Liebä Justav – ick hab's dir damals ja jleich jesacht: Paß uff, Justav … Nu kann ick dir mitteilen, det ick schwanger bin. Wann heiratste mir? Machen wir Ferntrauung? Justav, ick hab' so Sehnsucht nach dich …
    So ist das nun mal, Jungs. Nach 2 Jahren wieder der erste Urlaub, und die Ida war so hungrig. Mußte ja kommen, was? Drum kippen wir uns noch einen hintern Knorpel! Und singt mal wieder was, Jungs. Singen macht Durst! Hurra! Für Führer und Großdeutschland!
    Leskau sah Inge mit müden Augen an. Seine Stimme war kläglich. »Ich muß einsteigen, Inge.«
    Er umfaßte sie noch einmal und küßte sie. Lange, innig, mit geschlossenen Augen, den Druck ihrer kalten Lippen in sich aufnehmend, den leichten, süßlichen Duft ihrer Haut, ihrer Haare, das Zittern ihres Körpers, das Schlagen ihres Herzens und den Druck der kleinen, festen Brüste. Alles, alles nahm er in sich auf … den Rhythmus ihres Atems, das Streicheln ihrer Finger, die über seinen Rücken glitten und sich dann festkrallten, als wolle sie ihn nie wieder loslassen, den Blick ihrer plötzlich unnatürlich großen braunen Augen, als er sich losriß und sie noch einmal ansah.
    »Du kommst wieder, Fritz«, stammelte sie.
    Es war keine Frage mehr … es war eine Bitte, eine Tatsache, ein Glaube, fast ein Befehl zu Gott: Er darf nicht sterben!
    Er nickte schwach und versuchte ein Lächeln.
    »Ich komme wieder, Inge.«
    »Soll ich Vater schon etwas von uns sagen?«
    »Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher