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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn
Autoren: Heinz G. Konsalik
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jungen Leutnants.
    »In Sicherheit, mein Mädchen …«
    Da lächelte sie und schlief wieder ein.
    Ostpreußen fiel. Breslau wurde Festung und belagert. Die sowjetischen Divisionen überschritten die Oder und wälzten sich auf Berlin. Vom Westen her rückten die schnellen Panzerverbände des amerikanischen Generals Patton heran; sie eroberten Bayern und schwenkten nach Nordosten, um sich mit den vorstürmenden Russen zu vereinen.
    Deutschland zerbrach. Die deutschen Divisionen gingen kämpfend zurück. Jetzt, auf eigenem Boden, unter sich die Felder und Wälder der Heimat, klammerten sie sich an jedem Bauernhaus fest, wurde jeder Hügel eine Festung, jeder Flußlauf eine Stellung, jeder Wald ein Bunker.
    Jetzt hatte der Kampf einen Sinn. Jetzt hatte das Sterben einen Sinn. Wie es dazu kam, interessierte nicht mehr.
    Der Russe ist in Deutschland! Die Apokalypse jagt über Ostpreußen und durch Schlesien, durch Mecklenburg und Pommern. Das war genug! Jetzt ging es um die Frauen und Kinder, um das tatsächliche nackte Leben.
    Aber gegen 300 sowjetische Divisionen hatten sie nur die bloßen Hände, ein paar Kanonen, ein paar Panzerfäuste, ein paar Flaks. Und den Mut, sich dem roten Sturm entgegenzuwerfen und unterzugehen.
    Eine Nation opferte sich für den Wahnsinn.
    Mit seinem Hauptverbandplatz zog auch Walter Heinrich nach Westen, operierend, verbindend, Augen zudrückend, Schreiende wegschleppend. Tagelang, wochenlang immer dasselbe … zerrissene Leiber, verblutende Jugend, geopferte Generation.
    Mit den Resten seines Regimentes zog auch Theo Strakuweit nach Westen. Der ewige Landser, der Urbegriff des Landsknechtes. Mit verbundenem Kopf, auf den kein Stahlhelm mehr paßte, mit um den Leib schlotternder Uniform, aber immer noch vollgepfropft mit Witzen und Schweinereien, kämpfte er sich zurück in die Heimat, ein Rückhalt des jungen Ersatzes, den man aus der Hitlerjugend wegnahm und einfach in eine graue Uniform steckte.
    »Solange Theo schießt, braucht ihr nicht in die Hosen zu scheißen«, war sein Spruch.
    Der letzte Brief, der die Truppe erreichte, kam von Lottchen. Sie hatte Ostpreußen verlassen können, mit einem der Trecks, die in eisigem Schneesturm auf den Landstraßen nach Westen zogen. Jetzt war sie in Oldenburg und wartete auf die Geburt des kleinen Strakuweit.
    Strakuweit trug diesen Brief zusammengefaltet in seinem ledernen Brustbeutel auf dem Herzen. Er war schon fleckig und zerknittert vom vielen Lesen.
    Lottchen in Sicherheit! Nach Oldenburg – Strakuweit ließ sich von einem Gymnasiasten erklären, wo es lag – würde nie der Russe kommen.
    »Kinder«, sagte er zu dem jungen Ersatz, nachdem er den Brief zum zwanzigstenmal gelesen hatte, »wenn dieser Mist hier zu Ende ist, sollt ihr eine Staubwolke sehen! Und in der Wolke Theo, Richtung Oldenburg!«
    Keiner weiß, ob er es erreichte.
    Sein Regiment marschierte in die Spreewald-Niederungen und später nach Berlin. In dem Chaos des Zusammenbruchs verlor man Theo Strakuweit aus den Augen …
    Über die Straße von Landsberg an der Warthe nach Küstrin, die als neue Rollbahn diente, ging in diesen Wintertagen eine merkwürdige Gruppe deutscher Soldaten zurück.
    Mit kahlgeschorenen Schädeln, grauen Hosen und blauweiß gestreiften Lazarettjacken, in Strümpfen, Pantoffeln oder Knobelbechern, einige sogar barfuß, tanzten sie durch den wirbelnden Schnee, durch den heulenden Eissturm, und sangen!
    Sie umarmten sich, sie tanzten auf dem Straßeneis vor einem verlassenen Panzer barfuß Ringelreihen, schlugen Purzelbäume und spuckten sich an. Grölend, untergefaßt, halbnackt zogen sie dann weiter … Gespenstern gleich hüpften sie durch die Nacht und jagten allen, die sie sahen, das Grauen über den Rücken.
    Hirnverletzte, von den Sanis einfach zurückgelassen, marschierten in die Heimat.
    »Legt sie um!« schrie ein Leutnant, der am Wege mit einer Gruppe Landsern stand. »Los! Schießen!«
    Die Landser starrten stumm, bewegungslos auf ihre Kameraden mit den kahlgeschorenen Schädeln und den ausdruckslos grinsenden Gesichtern. Sie umklammerten ihre Waffen und senkten den Kopf.
    Ein General, der auf der Straße zurückfuhr, ließ seinen Wagen halten. Die Hirnverletzten sahen den großen Wagen, den Stander und formierten sich.
    Mit bloßem Oberkörper, auf Socken, die Arme durchpendelnd, mit ihren schrecklich aufgerissenen Mündern singend, marschierten sie im Paradeschritt an dem General vorbei … durch das Eis, durch den Schnee, durch den Wind
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