Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
zusammen.
    »Reiten Sie! Schnell!« Pawlek hielt das unruhige Pferd fest. Elsbeth kletterte auf den harten Sattel. Der Rucksack drückte ihren Körper nach vorn, aber sie stemmte sich gegen die Last und nahm die Zügel in beide Hände. Trense und Kandare, an alles hatte Staniswortsky gedacht.
    »Reiten Sie, solange Sie können!« rief er ihr zu. »Bleiben Sie auf dem Pferd, bis Sie herunterfallen! Je weiter Sie wegkommen, um so sicherer retten Sie Ihr Leben!«
    Er gab dem Pferd mit der Faust einen Schlag auf die Kuppe. Der Gaul stemmte sich hoch und schoß dann mit geblähten Nüstern aus dem Schulhof hinaus.
    Der kalte Nachtwind stieß ihnen entgegen, als sie aus den Häuserzeilen hinaus auf die Landstraße kamen. Deutsche Militärkolonnen gingen auf ihr zurück … fast in panischem Entsetzen fegten Artillerie und Trosse nach Westen. Panzer lagen seitlich der Straßen, die Mündungen der Kanonen ausgefranst, gesprengt, zerstört. Sie hatten keinen Sprit mehr gehabt und wurden hier unbrauchbar einfach zurückgelassen.
    Über die Felder, Nasielsk zu, gingen in langen, auseinandergezogenen Reihen und Gruppen Infanterie-Reserven nach vorn. In den Hügelketten südlich der Stadt fuhr Flak auf und ging in Stellung.
    Inmitten dieses Chaos, umringt von kämpfenden Truppen, beschossen von russischer Artillerie, jagte auf einem Pferd ein einsames, vergessenes Mädchen durch die Nacht.
    Elsbeth ritt nicht über die Landstraßen. Sie galoppierte querfeldein, ritt durch die Birkenwälder, umging die deutschen Reservestellungen und lenkte das schnaubende und flockende Pferd über Weiden und durch vereiste Bäche, immer nach Westen, den Rücken dem flammenden Horizont zugekehrt.
    Was sie nicht wußte, war der Grund des Entsetzens auf seiten der deutschen Truppenführung.
    Auf beiden Seiten von Nasielsk war der Russe mit schnellen Panzerspitzen bereits durchgestoßen und rollte ins Hinterland. Wie ein dünner Schlauch, einem Korridor gleich, blieb auf einer Breite von nur 10 km ein Streifen Land, auf dem Elsbeth Holzer, die Gefahr auf ihren Seiten nicht ahnend, nach Westen ritt.
    Auf einer Straße, die bereits mitten durch den sowjetischen Aufmarsch führte.
    Sie ritt zwei Stunden, drei Stunden … fünf Stunden … ununterbrochen. Oben bleiben, das war der einzige Gedanke, den sie nach diesen Stunden noch fassen konnte. Bloß oben bleiben! Wenn du anhältst, wenn du absteigst, kommst du nie wieder auf den Sattel hinauf.
    Sie umklammerte den Sattelknauf, beugte sich über den Hals des schwitzenden Pferdes und schloß erschöpft die Augen.
    Weiter … nur weiter … und wenn du die Zähne in die Mähne beißen mußt, um das Schreien, der wunden Schenkel wegen, zu unterdrücken. Nicht anhalten … jeder Hufschlag ist ja Leben … jeder Meter ist ja Freiheit … jede Pferdelänge bedeutet Rettung!
    Der Rucksack auf ihrem Rücken drückte sie in den Sattel, als trüge sie einen riesigen Zentnersack auf dem Nacken. Die Gurte schnitten in Schultern und Brust ein, die Arme wurden gefühllos. Mit den Beinen umklammerte sie den Leib des Pferdes, drückte die Schenkel fest an und ließ den Gaul laufen. Sie lenkte nicht mehr … sie konnte die Zügel kaum noch halten, so zitterten ihre Hände.
    Weiter! Nach Westen. Weg von dem Grauen, das im Rücken heranzog.
    Nach sieben Stunden lag sie fast im Sattel. Mit dem Gesicht auf dem Nacken des Pferdes, weinend vor Schwäche und Schmerzen, raste sie durch verlassene Dörfer und vorbei an brennenden, von den zurückgehenden Truppen angezündeten Magazinen.
    Morgens, gegen acht Uhr, nach einem fast neunstündigen, wahnsinnigen Ritt fiel sie vom Pferd.
    Ein Feldwebel einer Küchenkompanie hielt den tobenden Gaul auf. Als er ihn an der Kandare herunterriß, fiel er in die Knie, legte sich zur Seite und blieb zitternd und keuchend liegen.
    Ein Leutnant und zwei Unteroffiziere rannten herbei und trugen Elsbeth Holzer zu einem Nachrichtenwagen.
    Sie schlief siebzehn Stunden … regungslos, wie tot, kaum atmend. Selbst der Cognac, den ihr der junge Leutnant einflößte, rann zwischen den zusammengepreßten Lippen wieder heraus und versickerte zwischen den zwei Kleidern und zwei Mänteln.
    Sie merkte nicht, daß sie weiterfuhr nach Westen. Auf einer Decke im Nachrichtenwagen liegend, wurde sie in die Freiheit und in das Leben gefahren.
    Sie erwachte erst, als die kalte Wintersonne ihr ins Gesicht schien.
    »Wo sind wir?« fragte sie. Sie sah die Sonne über sich, blaue Wolken und das kindliche Gesicht eines
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher