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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die Front ist still wie ein Primelbeet, und die Kerls ballern in der Nacht los! Der Krieg ist doch kein Schützenfest! Pro Nacht 300 Schuß als Warnschüsse – das ist Divisionsbefehl! Ich werde mir die Gruppenführer vornehmen, bis ihnen das Wasser im Hintern kocht!«
    Simpelmeier, der Ia-Schreiber, rechnete weiter. Saukerl, dachte er verbissen. Draußen liegen sie auf 70 Meter dem Russen gegenüber, schleichen durch die Gräben, weil der kleinste Teil, der über den Graben herausreicht, von den sibirischen Scharfschützen durchlöchert wird, müssen die Essenträger des Nachts zwei Kilometer auf dem Bauch kriechen und die Kochgeschirre hinter sich herziehen, müssen die Verwundeten auf Zeltplanen über die Steppe gezogen werden, weil der Russe auf alles schießt, was sich vor seinen Augen bewegt … und da steht dieser Zuchtbulle von Kunze, fett, verfressen und geil wie eine chinesische Dirne, zitternd vor Angst, wenn die russische Artillerie das Hinterland bestreicht, und regt sich über die Munition auf. Es ist zum Kotzen, ihn nicht in den feisten Hintern treten zu können.
    Das Feldtelefon schellte. Kunze nahm den Hörer ab und setzte sich auf die Tischplatte.
    »5. Kompanie. Hauptfeldwebel Kunze.«
    »2. Bataillon. Leutnant Vogel.«
    Kunze sah an die Holzdecke. Der stramme Emil! Goldenes Parteiabzeichen, HJ-Oberbannführer, Mitglied der Nationalsozialistischen Volksbildung, im Augenblick Adjutant von Major Schneider, dem Kommandeur. Ein wüster Hund, vollgestopft mit Wissen, fanatisch verliebt in den Führer … Kunze grunzte.
    »Bei 5. Kompanie keine besonderen Vorkommnisse.«
    »Sie erhalten Ersatz, Kunze! 35 Mann, frisch aus der Heimat, aus der Kaserne. 8-Wochen-Ausbildung in Emmerich. Durchschnittsalter 18 Jahre.«
    »Liefern Sie die Windeln gleich mit?«
    »Ihre saudummen Bemerkungen unterlassen Sie gefälligst!« schnauzte Leutnant Vogel. Kunze grinste.
    »Jawoll, Herr Leutnant.«
    »Der Ersatz wird heute nacht in Marsch gesetzt. Er kommt zu Fuß.«
    Wie könnte es beim deutschen Barras auch anders sein, dachte Kunze. Die Infanterie latscht … seit Jahrhunderten. Wenn man alle Kilometer aneinanderreihte, die deutsche Infanteristen schon herunterliefen, dann gäbe es kaum einen Stern, der weit genug wäre, ihn nicht zu erreichen.
    »35 Mann?« wiederholte Kunze. Leutnant Vogel schien eine Beschwerde herauszuhören und klopfte auf den Tisch.
    »Seien Sie froh, daß Sie überhaupt was bekommen! Wir haben diese 35 Mann der Division förmlich abgerungen. Was wollen Sie, sagte der Herr General. Sie haben ja kaum Verluste. – Bereiten Sie also alles vor, Kunze!«
    »Jawoll.«
    »Ende.«
    Kunze legte den Hörer auf. Er sah auf seine Urlaubsliste. Noch nichts von Leskau und Strakuweit. Na ja … wird man sich eben mit den 35 Küken beschäftigen müssen. Kamen ja aus einer lahmarschigen Ausbildung. 8 Wochen Grundausbildung. Kaum Soldaten zu nennen. Zivilisten im grauen Ehrenkleid!
    Hauptfeldwebel Kunze nahm sich vor, die 35 Neuen gebührend zu empfangen. Einmal im Stechschritt um Dubrassna herum … damit man die Gegend besser kennenlernt.
    Es klopfte. Ein Gefreiter der Küche kam herein mit einem Topf.
    »Das Essen, Herr Hauptfeld.«
    Kunze schnupperte. »Was ist's denn?«
    Der Gefreite stand stramm. »Befehl von Feldwebel Müller III: Ich soll sagen – Idiotengrütze!«
    Verbissen aß Kunze die Nudeln mit Gulasch. Er würgte an ihnen herum. Jede Aufregung schlug ihm auf den Magen, und er hatte sich heute aufgeregt.
    Man sollte sich krank melden, dachte er dabei. Magenkrank. Dann kommt man drei oder vier Wochen nach Orscha und weg aus der HKL. Welch herrlicher Gedanke.
    Über Dubrassna brütete die Sommersonne. Sie verbrannte das Steppengras, sie dörrte die wenigen Bäume aus. Die beiden Ziehbrunnen gaben kaum noch Wasser. Das Leben schien in der Glut zerschmolzen zu sein … nur die Luft lebte … sie flimmerte und kochte.
    Drei Kilometer nördlich von Dubrassna zog sich die Rollbahn hin. 12 Meter breit, eine endlose Straße nach Osten, ein Band über einen halben Kontinent.
    Auf ihr allein war Leben.
    Leben, das nach Osten zog, um zu sterben.
    Menschen, Tiere, Maschinen. Tausende … Millionen … eine Völkerwanderung ohne Beispiel. Und unter den Tausenden 35 blutjunge, schmalgesichtige, ängstliche Männer, die man von Kindern zu Helden umerzog, indem man ihnen auf der Kammer ein paar Uniformstücke zuwarf, in die sie hineinschlüpften wie in ein schmutziges Sterbehemd. Sie sahen mit weiten Augen über
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