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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
Autoren: Sergej Lukianenko
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von der Sonne aufgeheizten Asphalt trotteten. Immer wieder brachen wir grundlos in Gelächter aus. Aber was heißt da grundlos? Wir befanden uns auf der Erde! Zwar nicht in unserer Heimatstadt, aber immerhin auf der Erde. Wir waren nach Hause zurückgekehrt! Das Wiedersehen mit unseren Eltern - und mit unseren Doppelgängern - stand uns noch bevor. Früher oder später.
    Schon von ferne konnten wir den Stadtrand sehen: ein Neubauviertel aus neun- und zwölfstöckigen Häusern, deren Fenster die Abendsonne reflektierten. Noch hatte ich keinerlei Plan, was zu tun war: an die Tür der erstbesten Wohnung klopfen, eine Milizstation suchen oder Wissenschaftlern von unseren Abenteuern erzählen. In jenen Momenten war es mir aber völlig gleichgültig.
    Wir waren zu Hause, nur das zählte!

    Als wir die ersten Gebäude erreichten, entdeckte ich in einem kleinen Hinterhof ein gepflegtes Blumenbeet. Inga lief ein Stück vor mir her und achtete gerade nicht auf mich.
    Diesmal traute ich mich. Eilig pflückte ich einige der Blumen. Obwohl es nur blasse Chrysanthemen waren, die der Herbstwind schon ein wenig zerzaust hatte, waren es für mich die schönsten Blumen der Welt.
    Ich holte Inga ein und fasste sie an der Hand.
    »Auf den Inseln gab es ja keine Blumen«, sagte ich und reichte ihr den kleinen Strauß. »Die hier... ähm... sind für dich.«
    Hand in Hand standen wir nun da und waren ziemlich verlegen. Uns trennte nur der Blumenstrauß, den ich fest umklammert hielt, als Inga danach griff und ich ihre schmalen warmen Finger spürte.
    »Ich habe noch nie jemandem Blumen geschenkt«, sagte ich, während mein Gesicht zu glühen begann.
    Wir sahen uns in die Augen. Selbst im Dämmerlicht konnte ich mein Spiegelbild in ihren Pupillen sehen, so nah waren sich unsere Gesichter.
    »Ich habe noch nie jemanden geküsst«, flüsterte Inga.
    Die Berührung ihrer Lippen spürte ich kaum. Umnebelt versank ich in einem bodenlosen Abgrund, mir wurde schwindlig, und ein heftiger Schauer fuhr durch meinen Körper. Der Duft ihrer Haare, der Duft der Äpfel, die schwerelose süße Berührung ihrer Lippen, alles verschmolz zu einem wilden Taumel und brachte mein Blut zum Kochen.
    Mit einem Ruck lösten wir uns voneinander, so wie ein Verdurstender die Feldflasche absetzt, da er Gefahr läuft, sich vor Gier zu verschlucken.

    Verlegen wandte Inga sich ab und wies mit einer Kopfbewegung auf eine Holzbank, die unweit eines Hauseingangs stand.
    »Setzen wir uns?«, fragte sie.
    Wir suchten keinen Ort, um uns weiter zu küssen. Unsere Bank lag mitten im Schein der inzwischen eingeschalteten Straßenbeleuchtung und wäre dafür kaum ein geeigneter Ort gewesen. Außerdem waren wir beide noch vom ersten Kuss völlig aus den Fugen.
    Um uns herum herrschte Stille, allmählich brach die Nacht herein. Nur ab und zu hörte man auf der Straße ein Auto vorbeifahren, leise und gedämpft, so als wollten auch sie uns nicht stören in diesem Augenblick. Schweigend sahen wir uns an, als sähen wir uns zum ersten Mal. Oder zum letzten Mal.
    Schritte und ein erregtes, von johlendem Gelächter unterbrochenes Geschwätz näherten sich vom Bürgersteig her unserer Bank. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass eine Gruppe junger Burschen auf den Hauseingang zuging. Sie mochten zwischen dreizehn und fünfzehn Jahre alt sein, ein fröhlich lärmender Haufen Halbstarke. Ich beobachtete die Gruppe mit einer beinahe mitleidigen Milde. Ich fühlte mich um fünf, um zehn, ja um vierzig Jahre älter als diese Jungen. Um vierzig Inseln älter!
    Als die Jungen uns auf der Bank sitzen sahen, verstummte ihr Gespräch. Neugierig und ein wenig geringschätzig sahen sie uns an. Kein Wunder, so wie wir aussahen. Mich streckend, rückte ich das doch eher peinliche Holzschwert so zurecht, dass es hinter der Lehne der Bank verborgen war.
    Auf unserer Höhe angekommen, blieb einer der Jungen
plötzlich stehen und ließ sich neben Inga auf die Bank plumpsen. Wenige Augenblicke später stand die ganze Bande, die eben noch zielstrebig auf das Haus zugegangen war, um uns herum. Alle schwiegen. Einige von ihnen kauten möglichst cool auf Kaugummis herum, einer kramte in seiner Brusttasche und zog eine schrumpelige, bröselnde Zigarette hervor.
    »Hast du mal Feuer?«, fragte er mich.
    »Tut mir leid, ich rauche nicht«, erwiderte ich und musste unwillkürlich grinsen.
    Als sei er zutiefst erstaunt, verzog der Junge das Gesicht. »Was hat er gesagt?«, fragte er einen seiner Kumpel.
    »Er
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