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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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sagte die Schwangere, »wenn auch ziemlich ungewaschen…«
»Keine Bange«, erwiderte Nawas Mutter, »wir werden sie schon sauber kriegen. Weißt du zufällig, ob das Spinnenbassin gereinigt ist? Oder müssen wir sie ins Tal bringen?«
»Die Wurzel war also bitter«, sagte die Schwangere zur Jungen. »Die Erinnerung daran ist ihr unangenehm. Seltsam, dabei wird erzählt, daß man so was nie vergißt! Hör mal, meine Liebe, er erscheint dir doch noch im Traum?«
»Wie geistreich ihr seid«, sagte Nawas Mutter. »Von eurem Geschwätz wird’s einem direkt schlecht…«
»Aber wir spotten doch gar nicht.« Die Schwangere tat erstaunt. »Es interessiert uns einfach.«
»Du kannst so hinreißend erzählen«, sagte die Junge mit blitzenden Zähnen, »erzähl doch noch was davon…« .
Candide lauschte gierig, bemüht, einen verborgenen Sinn in dieser Unterhaltung zu finden, doch er begriff nicht das geringste. Er sah nur, daß sich die beiden über Nawas Mutter lustig machten, daß die Frau bestrebt war, sich das nicht anmerken zu lassen. Sie versuchte, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken, was ihr aber nicht gelang.
Nawa dagegen hatte den Kopf gehoben und sah die Sprechenden aufmerksam an. Sie ließ den Blick von einer zur andern wandern.
»Man könnte meinen, du seist auch schon im See geboren«, sagte Nawas Mutter, nun bereits mit unverhohlenem Ärger, zu der Schwangeren.
»O nein«, sagte die Frau, »ich selbst hab’s leider nicht zu solcher Bildung gebracht. Dafür wird aber meine Tochter«, sie klopfte sich mit der Hand auf den Bauch, »im See zur Welt kommen. Das ist schon ein Unterschied.«
»Was hackst du so auf meiner Mutter ‘rum, dicke Pute?« schaltete sich plötzlich Nawa ein. »Schau erst mal an dir selbst ‘runter, schau, wie du aussiehst, bevor du dich mit andern anlegst! Sonst sag’ ich meinem Mann, er soll dir dein dickes Hinterteil mit dem Stock aufwärmen, daß dir die Lust zum Rumhacken vergeht!«
Die drei Frauen brachen in lautes Lachen aus. »Schweiger!« kreischte Nawa. »Wieso lachen die mich aus?«
Die Frauen sahen, noch immer lachend, Candide an. Nawas Mutter mit Erstaunen, die Schwangere – gleichgültig, die Junge aber mit einem schwer zu definierenden Blick, der ein gewisses Interesse verriet.
»Wer ist denn dieser Schweiger?« fragte Nawas Mutter.
»Das ist mein Mann«, erwiderte Nawa. »Er ist sehr gut zu mir, hat mich vor den Räubern gerettet…«
»Was heißt hier Mann?« sagte, unangenehm berührt, die Schwangere. »Erzähl selber keine Märchen, Kleine.«
»Erzähl selber keine Märchen«, parierte Nawa unverzüglich. »Was mischst du dich überhaupt ein? Geht’s dich vielleicht was an? Ist es dein Mann? Und außerdem red’ ich, wenn du’s genau wissen willst, nicht mit dir, sondern mit meiner Mutter. Kommt daher wie unser Alter im Dorf, ohne zu fragen und um Erlaubnis zu bitten…«
»Was denn«, wandte sich die Schwangere an Candide, »bist du tatsächlich ihr Mann?«
Nawa verstummte. Ihre Mutter umschlang sie fest mit den Armen und preßte sie an sich. Dabei sah sie Candide voller Widerwillen und Entsetzen an.
Einzig die Junge hatte ihr Lächeln beibehalten, und dieses Lächeln war so sanft und angenehm, daß sich Candide, als er antwortete, namentlich an sie wandte.
»Aber nicht doch«, sagte er, »natürlich ist sie nicht meine Frau, sondern meine Tochter…«
Er wollte erzählen, daß Nawa ihn gesund gepflegt und er sie sehr lieb habe, wollte auch sagen, daß er sich freue, daß alles so günstig verlaufen sei, obwohl er nicht das geringste begreife.
Doch da prustete die Junge plötzlich los und fing zu lachen an, wobei sie wild mit den Armen fuchtelte.
»Hab’ ich’s doch gewußt«, stöhnte sie. »Er ist nicht der Mann der Kleinen, sondern ihrer!« Dabei zeigte sie auf Nawas Mutter. »Es ist… ihr… Mann! Ojeoje, ich kann nicht mehr!«
Auf dem Gesicht der Schwangeren zeigte sich ein Ausdruck belustigten Staunens, und sie musterte Candide nun demonstrativ von Kopf bis Fuß.
»Ai-jai-jai-jai«, sagte sie in dem bekannten Tonfall, aber Nawas Mutter unterbrach sie gereizt: »Hört endlich auf! Das steht einem doch bis hier! Und du«, wandte sie sich an Candide, »mach, daß du wegkommst. Na geh schon, worauf wartest du noch? Verschwinde in den Wald!…«
»Wer hätte gedacht«, sagte in leisem Singsang die Schwangere, »daß sich die Wurzel der Liebe als so bitter, so dreckig und so behaart erweisen könnte…« Sie fing den zornigen Blick von Nawas Mutter auf und
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