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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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ohnehin in Aufruhr sind vom Alkohol, wenn der Mensch kleinmütig und still ist. Warum? Ach, wenn die ganze Welt, wenn jeder in der Welt so wäre wie ich jetzt: still und ängstlich und so wie ich von nichts überzeugt; nicht von sich selbst, nicht davon, daß sein Platz unter der Sonne irgendwelche Bedeutung hat — wie schön wäre das! Keine Enthusiasten, keine Heldentaten, kein Fanatismus! Allgemeine Kleinmütigkeit. Ich wäre bereit, eine ganze Ewigkeit auf der Welt zu leben, wenn man mir vorher einen Winkel zeigen würde, wo kein Platz für Heldentaten ist. »Allgemeine Kleinmütigkeit« — ja, das wäre die Rettung aus aller Not, ein Allheilmittel, das Prädikat höchster Vollkommenheit! Und was die treibende Kraft im Menschen betrifft...
    »Wer wollte hier Sherry?!«
    Uber mir zwei Frauen und ein Mann, alle drei in Weiß. Ich hob meine Augen zu ihnen auf — oh, wieviel Unflätigkeit und Verworrenheit mußte in meinen Augen gestanden haben. Ich konnte das an ihren Augen ablesen, weil sich in ihren Augen die gleiche Unflätigkeit und Verworrenheit widerspiegelten ... Ich knickte völlig zusammen und verlor jeglichen Mut.
    »Ich... ich hab ja nichts gesagt. Wenn es keinen Sherry gibt, dann eben nicht. Ich warte ein wenig ... ich bin nur so hier ...«
    »Was heißt nur so?... Worauf warten Sie ein wenig?« »Ich? So gut wie auf nichts ... Ich fahre nur einfach nach Petuschki, zu meinem Mädchen (ha, ha! zu meinem Mädchen!) — hier, ich hab Geschenke für sie gekauft Sie, die Folterknechte, warteten, was ich noch sagen würde.
    »Ich ... ich bin aus Sibirien, ich bin Waise ... Ich wollte nur, nur damit mir nicht so übel ist... ein wenig Sherry.«
    Mit dem Sherry hätte ich nicht wieder anfangen sollen! Der wirkte wie eine Bombe. Alle drei packten sie mich unter den Armen und durch den ganzen Saal — Schmach und Schande! — durch den ganzen Saal zerrten sie mich und stießen mich hinaus. Hinterher das Köfferchen mit den Geschenken — auch das stießen sie hinaus.
    Wieder an die Luft. O unendliches Nichts! O Krokodilsrachen des Lebens!

Moskau.
Zum Zug mit Umweg über das Geschäft
    Was danach war — vom Restaurant bis zum Geschäft und vom Geschäft bis zum Zug —, das läßt sich mit Worten nicht wiedergeben. Ich habe auch nicht vor, es zu tun. Und wenn die Engel es tun wollten, so würden sie einfach in Tränen ausbrechen und kein einziges Wort sagen können.
    Machen wir es lieber so — ehren wir diese zwei tödlichen Stunden mit einer Schweigeminute. Denke an diese Stunden, Wenitschka. Denke an sie in Tagen größter Begeisterung und sprühender Lebensfreude. Vergiß sie nicht in Minuten der Seligkeit und des Entzückens. Das darf sich nicht wiederholen. Ich wende mich an alle Verwandten und nahen Bekannten, an alle Menschen, die guten Willens sind, ich wende mich an alle, deren Herz offen ist für Poesie und Mitgefühl:
    Haltet inne! Bleibt mit mir stehen, und laßt uns zusammen mit einer Schweigeminute das ehren, was unaussprechlich ist. Solltet ihr zufällig eine alte Hupe zur Hand haben, dann hupt. Also, ich bleibe auch stehen. Genau eine Minute. Ich stehe wie eine Säule mitten auf dem Platz des Kursker Bahnhofs und starre mit verschleierten Augen auf die Bahnhofsuhr. Meine Haare wehen mal im Wind, mal stehen sie zu Berge, dann wieder wehen sie im Wind. Taxis umschwirren mich von allen vier Seiten. Menschen hasten vorbei. Sie schauen finster drein und überlegen wahrscheinlich: Sollen wir ihn in Stein meißeln, den alten Völkern zur Mahnung, so wie er da steht, oder lieber nicht?
    Die Stille wird nur von einem heiseren Frauenbaß durchbrochen, der von nirgendwoher kommt:
    »Achtung! Achtung! Um acht Uhr sechzehn fährt auf Gleis vier der Zug nach Petuschki ab. Der Zug hält in Hammer-und-Sichel, Tschuchlinka, Reutowo, Shelesnodoroshnaja, danach in allen Ortschaften, außer Jessino.« Ich aber verharre weiter in meiner Stellung.
    »Ich wiederhole! Um acht Uhr sechzehn fährt auf Gleis vier der Zug nach Petuschki ab. Der Zug hält in Hammer-und-Sichel, Tschuchlinka, Reutowo, Shelesnodoroshnaja, danach in allen Ortschaften, außer Jessino.«
    So, das wär's. Die Minute ist abgelaufen. Jetzt bestürmt ihr mich natürlich alle mit Fragen: »Du kommst doch aus dem Geschäft, Wenitschka, nicht wahr?«
    »Ja«, antworte ich euch, »aus dem Geschäft«, und setze meinen Weg in Richtung Bahnsteig fort, den Kopf nach links geneigt.
    »Dein Köfferchen ist jetzt schwer, nicht wahr? Und in deiner Brust
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