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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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von dreißig Sekunden, und ich bin kein Übermensch, um in dreißig Sekunden irgendwas bewerkstelligen zu können. Selbst ein Übermensch würde bereits nach dem ersten Glas Jägerschnaps zu Boden gehen, ohne jemals das zweite Glas geleert zu haben . .. Also, wann bloß? Gütiger Gott, wie viele Geheimnisse gibt es auf der Welt! Ein undurchdringlicher Schleier von Geheimnissen! Vor dem Korianderschnaps oder zwischen dem Bier und dem Alb-de-dessert?

Moskau. Restaurant des Kursker Bahnhofs
    Nein, bestimmt nicht zwischen dem Bier und dem Alb-de-dessert, da war ganz entschieden keine Pause. Aber vor dem Korianderschnaps, ja, das wäre gut möglich. Am ehesten war es sogar so: die Nüsse habe ich vor dem Korianderschnaps gekauft und die Pralinen — die danach. Aber vielleicht war es auch umgekehrt. Als ich den Korianderschnaps ausgetrunken hatte, habe ich ... »Alkoholisches gibt es nicht«, sagte der Rausschmeißer und besah mich wie einen krepierten Vogel oder ein dreckiges Hahnenfußgewächs.
    »Es gibt nichts Alkoholisches!«
    Ich sackte zwar völlig in mich zusammen vor Verzweiflung, brachte es aber dennoch irgendwie fertig zu murmeln, daß ich weiß Gott nicht deswegen hier sei. Woher will der denn wissen, warum ich hier bin? Vielleicht geht der Expreß nach Perm aus irgendwelchen Gründen nicht nach Perm, und deshalb bin ich hergekommen: um ein Boeuf Stroganoff zu essen und dabei Iwan Koslowskij zu hören oder irgendwas aus dem »Barbier«.
    Mein Köfferchen hatte ich für alle Fälle mitgenommen und drückte es in Erwartung der Bestellung ans Herz, wie jüngst im Hauseingang.
    Es gibt nichts Alkoholisches! Himmlische Mutter! Dabei soll der Sherry hier nie ausgehen, wenn man den Engeln glauben darf. Und nun nichts als Musik, und selbst die mit irgendwelchen jaulenden Modulationen. Das ist doch in der Tat Iwan Koslowskij, der da singt. Ich hab ihn ja gleich erkannt, es gibt keine gräßlichere Stimme als seine. Die Sänger haben alle gleich gräßliche Stimmen, nur jeder auf seine Weise. Deshalb unterscheide ich sie leicht nach dem Gehör. Na klar ist das Iwan Koslowskij ... »O-o-o du Kelch meiner A-a-ahnen... O-o-o laß mich dich ansehn im Schein der nächtlichen Stä-ä-ärne ...« Na klar ist das Iwan Koslowskij. »O-o-o warum bin ich ver- za-a-aubert von dir ... Verschmä-ähe mich nicht...« »Wollen Sie irgendwas bestellen?«
    »Was haben Sie denn? Nur Musik?«
    »Wieso nur Musik? Es gibt Boeuf Stroganoff, Torte, Euter
    Ich kämpfte wieder mit dem Brechreiz.
    »Und Sherry?«
    »Sherry nicht.«
    »Interessant. Euter gibt es, und Sherry nicht!«
    »Seeehr interessant. Ja. Euter gibt es, und Sherry nicht.« Und man ließ mich allein. Ich begann, um meine Übelkeit zu unterdrücken, den Lüster über meinem Kopf zu betrachten.
    Ein schöner Lüster. Aber ein bißchen arg schwer. Wenn der jetzt abreißt und jemandem auf den Kopf fällt — das würde furchtbar weh tun ... Doch nein, wahrscheinlich würde es gar nicht weh tun: während er abreißt und fliegt, sitzt du nichts ahnend da und trinkst zum Beispiel Sherry. Und wenn er dich erreicht hat, bist du schon nicht mehr unter den Lebenden. Ein schwerer Gedanke: Du sitzt da und von oben auf dich drauf - der Lüster. Ein sehr schwerer Gedanke...
    Doch nein, warum schwer?... Angenommen, du sitzt da nach einer durchzechten Nacht und trinkst Sherry, und es fehlt dir nur noch ein einziger Schluck, um wieder klar im Kopf zu werden — und da saust dir der Lüster auf den Kopf — ja, das ist wirklich schwer... Ein erdrückender Gedanke. Ein Gedanke, den nicht jeder ertragen kann. Besonders mit Brummschädel.
    Aber wärst du vielleicht mit folgendem Vorschlag einver-standen? Wir bringen dir jetzt achthundert Gramm Sherry, und dafür hängen wir über deinem Kopf den Lüster aus und ...
    »Na, haben Sie sich's überlegt? Wollen Sie was bestellen?«
    »Sherry bitte, achthundert Gramm.«
    »Voll wie du bist! Wie deutlich soll man es eigentlich noch sagen: Wir haben keinen Sherry!«
    »Dann... dann warte ich..., bis Sie doch noch welchen kriegen
    »Ja, warte nur, lang kann es nicht mehr dauern!... Gleich sollst du deinen Sherry haben!«
    Und man ließ mich wieder allein. Ich sah dieser Frau mit Abscheu nach. Besonders auf ihre nahtlosen weißen Strümpfe. Eine Naht hätte mich versöhnt, hätte vielleicht Seele und Gewissen erleichtert...
    Warum sind die alle nur so grob? Grob, ausgesprochen grob besonders in den Momenten, wenn man nicht grob sein darf, wenn die Nerven
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