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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes
Autoren: Michel Folco
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ausschließlich Augen für die Guillotine, die sich verlassen unter einer Gaslaterne erhob. Erst die Ankunft der ersten Maronenverkäufer lenkte sie ein wenig ab.
    Um Punkt 5 Uhr ging Anatole zurück zum Wagen, wo er sich wusch, rasierte und umzog, während Saturnin auf dem Bunsenbrenner Kaffee kochte. Bald vermischte sich der Duft des Kaffees mit dem der Rasierseife und des Eau de Cologne.
    Der junge Mann fütterte gerade die Pferde mit einer Mischung aus Hafer und Karotten, als auch die Gehilfen zu Anatole in den Wagen kamen. Sie wuschen und rasierten sich nacheinander und tranken Saturnins Kaffee, dem sie Cognac (der »Dicke Louis«) und Negrita Rhum (Yvon) beifügten. Henri wußte, daß Anatole dagegen war, und trank nur heimlich. Er trank nicht, um sich Mut für die Arbeit zu machen, sondern um seine Gefühle noch zu steigern, so wie man ein ohnehin schon salziges Gericht noch nachwürzt. Um 5.50 Uhr gingen der Scharfrichter und seine Gehilfen hinaus und überprüften ein letztes Mal ihr Arbeitsgerät.
    Da die Zeitschriften Deiblers Bild oft als Karikatur oder Fotografie auf den Titelseiten abgebildet hatten, war sein Gesicht bekannt. Bei seinem Anblick klatschten die Zuschauer Beifall. Es war kalt, und einige von ihnen traten schon seit mehreren Stunden ungeduldig von einem Bein auf das andere.
    »Anfangen! Anfangen! Anfangen!« rief die Menge drohend.
    »Solange sie nicht rufen >Geld zurück<, geht es ja«, sagte Anatole philosophisch.
    Um 6.05 Uhr betrat er das Büro des Gefängnisdirektors, wo etwa dreißig Personen angeregt plauderten. Die meisten von ihnen waren Besucher, denen es unter irgendwelchen Vorwänden gelungen war, eine Einladung für das Schauspiel zu bekommen.
     
    Saturnin war überrascht angesichts der zahlreichen ele-gant gekleideten Frauen, die seinen erstaunten Blick erwiderten. Er hörte, daß sich eine von ihnen zu ihrem Nachbarn beugte und sagte:
    »Der scheint mir doch etwas jung, er ist sicher noch nicht einmal zwanzig Jahre alt.«
    Kommissar Delguay, der die Verurteilte festgenommen hatte und aus diesem Grund anwesend war, antwortete:
    »Er ist neu, ich habe ihn noch nie gesehen.«
    »Ist es denn normal, daß ein so junger Mann ein solches Amt bekleidet?«
    »Monsieur Deibler allein ist verantwortlich für die Neueinstellungen. Es ist sicherlich ein Verwandter aus der Provinz, der das Metier lernen will. Wenn er Sie interessiert, werde ich Sie vorstellen. Ah, es fängt an.«
    Anatole unterzeichnete die Übernahme der Gefangenen. Der Direktor reichte ihm das Formular, das Anatole in die Tasche steckte, ehe er finster sagte:
    »Also vorwärts! «
    Das Büro leerte sich hinter ihm. Die kleine Gruppe ging durch einen langen Gang, eine Treppe hinauf und erreichte schließlich den Sicherheitstrakt. Anatole blieb an einer Tür stehen, vor der ein Wärter saß, der sich bei seiner Ankunft erhob. Mit äußerster Vorsicht öffnete der Oberaufseher die Tür der Zelle. Ein furchtbarer Schrei des Grauens erklang.
    » Neeeeeiiiiin! «
    »Scheiße!« fluchte der Meister, als er feststellte, daß die Frau ungefähr einhundert Kilo wog, wenn es nicht mehr waren. »Das hätte man mir ja auch vorher sagen können«, beklagte er sich beim Gefängnisdirektor.
    » Ich dachte, das wüßten Sie. Ihr Prozeß hat im Juli letzten Jahres stattgefunden und ist durch alle Zeitungen gegangen.«
    » Im Juli bin ich in La Baule, und im Urlaub lese ich keine Zeitung!«
    »Im übrigen ist ihr der Aufenthalt im Gefängnis, glaube ich, recht gut bekommen, wenn man so sagen darf. Beim Prozeß war sie noch nicht so dick! «
    »Ich will nicht, « erklärte die dicke Martine Goudut fest entschlossen und warf sich dem Priester an den Hals, der zurücktaumelte.
    »Da brauchen wir ja einen Wagenheber«, sagte der >Dicke Louis< halb scherzhaft.
    »Beruhige dich, meine Tochter. Sei tapfer und füge dich, es dauert nicht lange«, tröstete sie der Priester und versuchte, sich aus der Umarmung zu befreien. Ihre Arme waren so dick wie Schenkel, und was die Schenkel anging ...
    Der » Dicke Louis« und Yvon ergriffen sie. Sie wehrte sich und stieß schrille, spitze Schreie aus. Sie versetzte Yvon einen Fausthieb auf das Ohr, der ihn straucheln ließ. Saturnin wollte ihm zu Hilfe kommen, doch er bekam einen so heftigen Stoß mit dem Ellenbogen in den Magen, daß es ihm den Atem verschlug.
    »Ich will nicht! Ich will nicht sterben!«
    Anatole, Henri, der Oberaufseher und zwei Wärter sprangen auf sie zu. Dann folgte ein wildes
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