Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes
Autoren: Michel Folco
Vom Netzwerk:
zersplitterte. Yvon stieß einen Schmerzensschrei aus.
    Saturnin kniete vor der Halsmulde und sah, wie Martines Kopf auf ihn zurutschte. Sie hustete, und ihre Augen waren weit aufgerissen, sie befand sich offensichtlich in einem Zustand der Panik. Er ergriff sie bei den Ohren und richtete ihren Kopf aus, so wie man ein Bild zurechtrückt. Schon hatte Anatole die Halskrause geschlossen und auf den Knopf gedrückt, der das Fallbeil auslöste. Saturnin, der an dem Kopf zog, um den Hals zu spannen, war von der Schnelligkeit überrascht und verlor das Gleichgewicht. Er fiel hintenüber, ohne den Kopf dabei loszulassen, der ihn mit Blut bespritzte. Sogleich stand er wieder auf und ging zu dem Weidenkorb, wo er ihn mit dem Gesicht nach unten zwischen die Schenkel des toten Körpers legte, damit er während der Fahrt nicht hin und her rollte.
    Anatoles Uhr zeigte 6.40 Uhr, es war noch nicht Tag.
    »Übernimm bitte meine Arbeit. Ich glaube, ich habe mir einen Leistenbruch geholt«, entschuldigte sich Yvon bei Henri, als sie den Korb in den Wagen stemmen mußten.
    Die Menge zerstreute sich zögernd, und die Gehilfen bauten die Guillotine ab. Saturnin goß mehrere Eimer Wasser über das Pflaster, um das Blut wegzuspülen, das durch die Kälte schon angefroren war.
    Er lächelte, als er hörte, wie ein Nationalgardist zu seinem Nachbarn sagte:
    »Es heißt, daß sie ihre Blumen damit gießen!«
    »Warum nicht? Das wäre ein ausgezeichneter Dünger!« rief er ihnen zu.
    Sie antworteten ihm nicht.
    Anatole folgte den Amtspersonen, die zurück in das geheizte Gefängnis gingen, und es berührte ihn kaum, daß die Gäste, die kurz zuvor noch gerne mit ihm angestoßen hätten, jetzt die Augen abwandten. Das war jedesmal so. Er ging auf den Kommissar Delguay zu, den er gut kannte, und zog sein Notizbuch, ein kleines Heftchen mit durchnumerierten Seiten, aus der Tasche. Er fragte:
    »Ich weiß, daß sie ihren Vater umgebracht hat, doch da ich die Sache nicht verfolgt habe, kenne ich die Gründe nicht.«
    Der Kommissar ließ sich nicht lange bitten. Er kannte die Gewohnheiten der Scharfrichter und respektierte sie. Er
    selbst notierte im übrigen ebenfalls all seine Verhaftungen und hatte den Plan, eines Tages ein Buch daraus zu machen.
    » Er war bettlägrig, und sie hat ihn im Schlaf erstickt, aber sie hat nie sagen wollen, warum.«
    »Welche Mordwaffe hat sie benutzt?«
    Delguay lachte trocken:
    »Ich frage mich, was Sie in Ihr Heft schreiben werden, wenn ich es Ihnen sage. Sie hat sich auf sein Gesicht gesetzt.«
    Da sich niemand von ihrer Familie gemeldet hatte, um die Bestattung ihrer sterblichen Überreste zu übemehmen, wurde Martine Goudut auf den Friedhof von Ivry gebracht. Dort wurden die durch die Guillotine Gerichteten auf einem Landstück begraben, dessen Lage streng geheimgehalten wurde.
    In Anwesenheit des Kommissars von Ivry, der das Beisetzungsprotokoll aufnahm, kippten der »Dicke Louis« und Saturnin den Weidenkrob in das frisch geschaufelte Loch. Der Kopf rollte als erstes hinein, und der Körper fiel darauf. Es war 7.50 Uhr, und die Totengräber schaufelten das Grab schon wieder zu. Dann ging jeder seines Weges. Anatole fuhr nach Hause und die Gehilfen an ihren Arbeitsplatz. Saturnin striegelte die Pferde, machte den Wagen sauber und verbrachte den Vormittag damit, jedes Teil der Guillotine zu säubern. Voller Bedauern stellte er fest, daß die Holzbalken lackiert und somit nicht mit Bienenwachs zu pflegen waren, also polierte er sie nur mit einem weichen Tuch.
    Als er zurück nach Auteuil kam, war das Haus - bis auf das Dienstmädchen, das in der Küche das Geschirr abspülte leer. Anatole war beim Pferderennen in Longchamp, Rosalie bei einem Kaffeekränzchen der Gemeinde und Marcelle in der Schule.
    Er aß einen Rest kaltes Hühnerfleisch, Käse und zwei Äpfel. Dann wusch er sich, zog sich um und wusch mit kaltem Wasser die Blutflecken aus seinen Kleidern. Während er rieb, sah er wieder die drei unterschiedlichen Strahlen, die aus dem abgeschlagenen Kopf gesprudelt waren:
    zwei kräftige rote, die aus der Karotis kamen, und einen dünneren, weißen, der aus dem Rückenmark drang. Zwar hatte ihn dieses Schauspiel nicht im eigentlichen Sinn berührt, doch es hatte ihm zum einen bewußt gemacht, wie endgültig der Tod war, zum anderen, wie groß der Unterschied war, etwas zu wissen und etwas zu erfahren. Er begriff jetzt besser, welche unglaubliche Macht ihnen die Gesellschaft übertrug.
     
    Als Anatole vom
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher