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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes
Autoren: Michel Folco
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auf dem Gehsteig ausgeladen. Anatole zog seine Uhr heraus und stoppte die Zeit, die sie zum Aufbau benötigten. Er griff erst in dem Augenblick ein, als es galt, die genaue Ausrichtung mit Senkblei und Wasserwaage zu überprüfen. Die Nationalgarde, die um sie herumstand und zusah, schien die Kälte nicht zu bemerken. Achtundzwanzig Minuten später war alles fertig. Inzwischen hatten sich die Gaststätten geleert, und die Neugierigen drängten sich an den Absperrungen. Einige klatschten Beifall, als Anatole das Fallbeil zu einem Probelauf niedersausen ließ.
    Es war erst 4 Uhr, und die Hinrichtung war auf 6.30 Uhr festgelegt. Saturnin und Anatole fuhren den Kutschwagen und das Automobil in den Gefängnishof. Die Wächter luden sie ein, sich in ihrer Kantine aufzuwärmen.
    » N'abend, die verehrten Damen und Herren«, sagte der >Dicke Louis<, als sie in den verrauchten Raum traten, in dem sich etwa zehn Aufseher mit geöffneten Uniformjacken ausruhten. Sie lachten über seinen Witz und schlugen sich auf die Schenkel. Anatole und seine Gehilfen ließen sich an einem freien Tisch nieder. Bald nahmen die Aufseher ihre Stühle und setzten sich zu ihnen, um sich an ihrem Gespräch zu beteiligen. Sie konnten ihre Faszination denen gegenüber, deren Arbeit darin bestand, Köpfe abzuschlagen, kaum verbergen und suchten nach Kleinigkeiten, die diese furchtbare Arbeit verraten könnten. Anatole glich einem reichen Industriellen und seine Gehilfen liebenswürdigen Arbeitern. Nur einer, der Jüngste, unterschied sich ein wenig, aber man hätte nicht genau sagen können, warum.
    Man redete über das Wetter, das seit einigen Tagen immer kälter und feuchter wurde, und trank dabei heiße Brühe oder Zichorienkaffee. Man sprach auch über die Bonnot-Bande, die jetzt hinter Schloß und Riegel saß.
    Wenn die dran sind, werden Sie nicht über Arbeitslosigkeit klagen können, Monsieur Deibler. Es sind zweiundzwanzig, die bald vor Gericht stehen werden«, sagte der Oberaufseher und fügte dann hinzu: »Ist es das erste Mal, daß sie eine Frau guillotinieren?«
    »Nein«, erwiderte Anatole, »es ist die vierte, aber ich habe an keine der Hinrichtungen eine gute Erinnerung ... Na, was ist denn los, was macht ihr denn für Gesichter?« fragte er seine Gehilfen, die plötzlich betroffen aussahen.
    Nur Saturnin blieb ungerührt und blies gleichgültig in seinen Zichorienkaffee, der zu heiß war.
    »Aber Meister, wir wußten nicht, daß es eine Frau ist«, sagte Yvon.
    »Hast du es ihnen denn nicht gesagt?« fragte Anatole Saturnin streng.
    » Ich habe ihnen gesagt, daß wir morgen früh köpfen, und sie haben gesagt >in Ordnung(.«
    »Aber warum hast du uns nicht gesagt, daß es eine Frau ist?« bohrte Henri, der Überraschungen nicht leiden konnte und schon gar keine schlechten.
    »Sie haben mich nicht gefragt. Und was ist denn so schlimm daran, Monsieur Henri? Mann oder Frau, wir müssen trotzdem guillotinieren. Mein Großvater sagt immer: >Wenn ein Fuchs in einem Hühnerstall wütet und man ihn totschlägt, fragt man sich auch nicht, ob es vielleicht eine Füchsin war.< «
     
    » Ich verstehe deinen Standpunkt, Saturnin, aber ich finde ihn sehr theoretisch. Eine Frau zu köpfen, das ist nicht dasselbe ... eine Frau ist ... immer ein wenig wie eine Mutter, verstehst du?«
    »Nein, Großvater sagt, daß ein Scharfrichter keine Gefühle haben darf. Sonst ist er kein guter Scharfrichter.«
     
    Diese Aussage war eine rein sachliche Feststellung, und in seiner Stimme lag nicht die leiseste Spur von Unverschämtheit.
    »Das ist gerade mal seine Impfung, und er redet daher, als könne er schon auf jahrelange Erfahrung zurücksehen«, regte sich Yvon auf. »Wir werden ja sehen, ob du nachher auch noch soviel angeben wirst! Weißt du wenigstens, daß du den Kopf halten wirst?«
    »Natürlich weiß ich das, es ist ja schließlich meine Impfung. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Monsieur Yvon, ich weiß in- und auswendig, was ich tun muß.«
    »Das werden wir dann sehen.«
    »Sagte der Blinde«, scherzte der »Dicke Louis« automatisch.
     
    Doch es kam nicht von Herzen. Die Vorstellung, es mit dem Körper einer Frau zu tun haben, schreckte ihn, und er fürchtete, daß die anderen es bemerken könnten. Hoffentlich ist sie alt und häßlich, dachte er bei sich, schraubte ein flaches Cognacfläschchen auf und gab einen Schuß in seine Brühe.
    Einer der Wächter schlug eine Partie Rommée vor.
    Draußen wuchs die Zahl der Neugierigen. Alle hatten
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