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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte
Autoren: Reginald Hill
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für die
Gazette
als Korrespondent aus den ländlichen Gebieten berichtete, sich also in einer Position der Abhängigkeit befand.
    Follows schätzte sich bereits glücklich, so glimpflich davongekommen zu sein, als Agnew erklärte, natürlich könne man vom Honourable (dessen Lektüre sich auf Sportzeitschriften beschränkte) nicht erwarten, daß er alle eingereichten Texte selbst durchackerte. Und ihr Team von Spitzenreportern sei viel zu sehr damit beschäftigt, seine eigene unsterbliche Prosa zu verfassen, um die anderer Leute zu lesen. Daher rechne sie damit, daß die Bibliotheksmitarbeiter mit ihrer ausgewiesenen Sachkenntnis auf dem Feld der erzählenden Literatur die Texte sichten und eine kurze Liste zusammenstellen würden.
    Percy Follows wußte sofort, daß er den Schwarzen Peter erwischt hatte, und hielt nach jemandem Ausschau, an den er ihn weiterreichen konnte. Alles sprach für Dick Dee, der trotz eines mit Auszeichnung abgeschlossenen Studiums der englischen Sprache und Literatur offenbar nie gelernt hatte, nein zu sagen.
    Der beste Einwand, der ihm einfiel, war: »Nun, wir haben ziemlich viel zu tun … Mit wie vielen Einsendungen rechnen Sie denn?«
    »So ein Wettbewerb findet keine große Resonanz«, erklärte Follows zuversichtlich. »Ich wäre überrascht, wenn wir in den zweistelligen Bereich kommen. Ein paar Dutzend ist schon das Höchste der Gefühle. Die können Sie in der Pause beim Tee durchsehen.«
    »Da müssen wir aber eine Menge Tee trinken«, grummelte Rye, als der erste Sack voller Manuskripte von der
Gazette
angeliefert wurde. Aber Dick Dee hatte angesichts des Papierbergs nur gelächelt und gesagt: »Die Stunde der verhinderten Dichter. Sortieren wir sie mal durch.«
    Die erste Durchsicht hatte noch Spaß gemacht.
    Die Idee, alles Nichtgetippte abzulehnen, erschien verlokkend, aber sie erkannten bald, daß diese Maßnahme zu drakonisch war. Als aber weitere Säcke eintrafen, wurde klar, daß sie ein paar Ausschlußkriterien festlegen mußten.
    »Nichts in grüner Tinte«, erklärte Dee.
    »Nichts auf kleinerem Format als DIN A5«, meinte Rye.
    »Nichts Handschriftliches, bei dem die Buchstaben nicht verbunden sind.«
    »Nichts ohne sinnvolle Interpunktion.«
    »Nichts, was den Gebrauch einer Lupe erfordert.«
    »Nichts, an dem organisches Material klebt«, sagte Rye und hielt ein Blatt in die Höhe, das aussah, als hätte es unlängst ein Katzenschälchen ausgekleidet.
    Dann kam ihr der Gedanke, daß der unansehnliche Fleck vielleicht von einem Baby herrührte, dessen ans Haus gefesselte Mutter zur Fütterungszeit verzweifelt versuchte, kreativ zu sein. Ein Rest von Schuldgefühl veranlaßte sie, vehement zu protestieren, als Dick fortfuhr: »Nichts mit detaillierten Sexualschilderungen oder Kraftausdrücken.«
    Er hörte sich ihre liberalen Argumente mit großer Geduld an und nahm ihre implizite Anschuldigung, er sei bestenfalls verklemmt und schlimmstenfalls Faschist, ohne Groll hin.
    Als sie fertig war, entgegnete er freundlich: »Rye, ich stimme dir zu, daß ein guter Fick weder lasterhaft noch ekelerregend, ja, nicht einmal geschmacklos ist. Da aber zweifelsfrei feststeht, daß eine Geschichte, die eine Beschreibung des Akts oder eine Ableitung des ihn beschreibenden Wortes enthält, keinesfalls in der
Gazette
veröffentlicht wird, erscheint mir das Kriterium doch sinnvoll. Wenn du natürlich jede Geschichte Wort für Wort durchlesen willst …«
    Nachdem ein weiterer Sack von der
Gazette
eintraf, war der Fall erledigt.
    Eine Woche später, als immer noch Beiträge eintrudelten und noch neun Tage bis zum Einsendeschluß blieben, zeigte sie sich wesentlich rigoroser als Dee und beförderte Manuskripte nach dem ersten Absatz, nach dem ersten Satz und in manchen Fällen bereits nach dem Lesen der Überschrift in den Papierkorb, während er fast alle seine Texte durchlas und einen wesentlich höheren Kommt-in-Frage-Stapel auftürmte als sie.
    Jetzt blickte sie in das Manuskript, mit dem er sie gestört hatte, und sagte: »
Erster Dialog?
Heißt das, es kommt noch mehr?«
    »Dichterische Freiheit, nehme ich an. Du solltest es jedenfalls lesen. Deine Meinung würde mich interessieren.«
    Eine Stimme unterbrach sie.
    »Hast du den neuen Maupassant schon gefunden, Dick?«
    Eine hagere Gestalt baute sich hinter Rye auf und nahm ihr das Licht.
    Sie brauchte nicht aufzuschauen, um zu wissen, daß es Charley Penn war, ein regelmäßiger Besucher des Lesesaals und in Mid-Yorkshire noch am
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