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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte
Autoren: Reginald Hill
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ehesten das, was man eine literarische Berühmtheit nennen könnte. Er hatte eine mäßig erfolgreiche Romanreihe verfaßt, die er als »historisch-romantische Abenteuergeschichten« bezeichnete, während die Kritiker von Schmachtfetzen sprachen. Sie spielten vor dem Hintergrund des revolutionären Europas vor 1848, und ihr Held wies gewisse Ähnlichkeiten mit dem Dichter Heinrich Heine auf. Sie lieferten den Stoff für eine beliebte Fernsehserie, in der das Schmachtelement sicherlich mehr zählte als Romantik oder gar Historie. Seine regelmäßigen Besuche in der Bibliothek hatten jedoch nichts mit dem Streben nach Wahrhaftigkeit in seinen Romanen zu tun. In angeheitertem Zustand soll er einmal über seine Leser bemerkt haben: »Man kennt doch die Idioten. Die haben doch von nichts eine Ahnung.« Er hingegen hatte sich umfassende Kenntnisse über die fragliche Zeit angeeignet – und zwar während seiner Arbeit an seinem »eigentlichen« Werk, für das er nun schon viele Jahre recherchierte, nämlich einer kritischen Ausgabe von Heines Gedichten nebst metrischer Übertragung. Rye hatte überrascht vernommen, daß er zusammen mit Dick Dee auf der Schule gewesen war. Die zehn Jahre, die Dees ausgeglichenes Temperament von seinen Vierzig plus abgezogen hatte, waren anscheinend Penn aufgeladen worden, dessen hohle Wangen, tiefliegende Augen und ungepflegter Bart ihm das Aussehen eines alten Wikingers gaben, der schon allzu oft ausgezogen war, um zu plündern und zu schänden.
    »Wohl nicht«, antwortete Dee. »Aber ich würde trotzdem gern hören, was ein Fachmann dazu sagt, Charley.«
    Penn ging um den Tisch herum, so daß er auf Rye herabblickte, und fletschte seine unregelmäßigen Zähne – Rye vermutete, daß er beabsichtigte zu lächeln, doch dieser Versuch geriet immer unwillkürlich zu einem »Flätscheln«, wie sie es nannte. »Nur wenn du einen unvorhergesehenen Haushaltsüberschuß zugeteilt bekommen hast.«
    Wenn seine Meinung als Fachmann gefragt war, oder eigentlich bei jeder Tätigkeit, die mit seinem Beruf zusammenhing, bestand Penn mit einer Hartnäckigkeit darauf, Zeit sei Geld, daß mancher Anwalt daneben freigebig erschien.
    »Und was kann ich für dich tun?« fragte Dee.
    »Diese Artikel, die du für mich aufgespürt hast, sind die schon da?«
    Penn brachte seinen Grundsatz, ein Arbeiter müsse anständig entlohnt werden, ohne weiteres mit der Nutzung von Dees Diensten als unbezahltem Assistenten für seine Recherchen in Einklang.
    »Ich schau’ mal nach, ob heute was in der Post ist«, sagte Dee.
    Er stand auf und ging in das Büro hinter dem Schreibtisch.
    Penn blieb zurück, die Augen auf Rye geheftet.
    Sie erwiderte seinen Blick ungerührt und sagte nur: »Ja?«
    Schon öfter hatte sie den alten Wikinger dabei ertappt, daß er sie ansah, als verspüre er wieder den Ruf der See, wenn er sich auch bisher mit dem Plündern und Schänden zurückgehalten hatte. Ja, er schien sogar eher dem Knaben aus diesem Stück (wie hieß es doch gleich wieder?) nachzueifern, der im Ardenner Wald umherwandert und Gedichte an Bäume heftet. Denn von Zeit zu Zeit fielen ihr Bruchstücke von Penns Heine-Übersetzung in die Hände. Sie öffnete zum Beispiel eine Akte oder griff nach einem Buch, und da fanden sich ein paar Zeilen über einen traurigen Liebenden, der auf sich selbst hinunterstarrt, wie er zum Fenster seiner Geliebten hinaufstarrt, oder über einen Fichtenbaum einsam im Norden, den die Sehnsucht nach dem heiteren Wedeln einer unerreichbaren Palme fern im Morgenland anficht. Ihr Vorhandensein wurde, wenn denn eine Erklärung nötig war, durch ein Versehen erklärt, begleitet von einem wissenden Flätscheln, das ihr auch jetzt zuteil wurde, als Penn ihr noch »Viel Spaß« wünschte und mit Dee verschwand.
    Jetzt widmete sich Rye mit ungeteilter Aufmerksamkeit dem »Ersten Dialog«, überflog ihn erst rasch und las ihn dann noch einmal langsam durch.
    Als sie fertig war, saß Dee ihr wieder gegenüber, und Penn hatte seinen gewohnten Platz an einem der Lesetische in einer Nische eingenommen, von wo aus er gern mit bellender Stimme junge Studenten maßregelte, die den Begriff Silentium anders interpretierten als er.
    »Was meinst du?« fragte Dee.
    »Ich fragte mich nur, warum zum Teufel ich das lese«, entgegnete Rye. »Gut, der Autor versucht, es ganz schlau anzustellen, und benutzt eine einzelne Episode als Aufhänger für ein ganzes Epos, das noch folgen soll, aber eigentlich funktioniert es nicht,
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