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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens
Autoren: Jay Lake
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jemals glauben würde, aber sie konnte nur einen Kampf nach dem anderen führen.
    Wenn doch nur Boas mit ihnen gekommen wäre. Sie betete inständig, dass er dem Blutbad und dem Chaos in Mogadischu entkommen war.
    Hier und jetzt hatte sie viel dringendere Probleme.
    Sie hatte einige Zeit damit verbracht, mit dem Zeiger zu spielen, der sich im Einklang mit ihrem eigenen Rhythmus bewegen konnte. Wie konnte sie den Umriss eines Gedankens in ihrem Kopf greifbar machen?
    Dieses Problem bereitete ihr große Angst.
    Ming murmelte etwas. Paolina wurde sich schmerzlich bewusst, dass sie keine Zeit mehr hatte, und sah auf. Seile wurden vom Luftschiff über der Five Lucky Winds herabgelassen. Das Luftschiff über ihrer Barkasse verlor an Höhe und ließ ebenso Seile herab.
    Dann waren über das Meer Schüsse zu hören.
    »Sie töten die Mannschaft«, flüsterte sie.
    Paolina mochte die Chinesen nicht, vor allem nicht die, die auf einem Luftschiff dienten, aber die Männer des Unterseeboots hatten ihr Leben und das von al-Wazir gerettet. Sie hatten sie anständig behandelt. Außerdem war der Bootsmann zusammen mit Childress noch an Bord.
    Eine wilde Wut stieg in ihr auf und sie zog nicht nur die Rändelschraube in ihre vierte Position, sondern richtete auch ihre gesamte Aufmerksamkeit auf diese Welt, nicht mehr ihr Innerstes. Sie ging schnell vor, ohne nachzudenken; wie bei dem Sturm, als sie die Five Lucky Winds zu sich herangeholt hatte.
    Die angreifende Flotte trat nun deutlich hervor. Der Zeiger zitterte, als er sich auf ihre Wellenlänge einpendelte. Sie wurde durch Pflichten, Befehle und gemeinsame Verantwortung zusammengehalten; ein Ganzes, so wie der Wind und die Wellen und herabströmender Regen sich als Ganzes zu einem Sturm zusammenfinden.
    Sie hatte am Rande ihrer eigenen Wahrnehmung herumgetastet, um einen Schleier des Vergessens über Teile ihrer Erinnerung breiten zu können. Nun tat sie dasselbe bei diesen Männern.
    Es schien ihr, als ob sie den Rahm von frischer Milch abschöpfte, als ob sie die Spreu vom Weizen trennte. Sie griff tief in das Innerste hinein, verwendete den Schimmer, um sie zu verändern und ihre Erinnerung verblassen zu lassen, die ihnen ihren Zweck und ihre Gedanken nahm.
    Ein lauter Knall war zu hören, und aus dem Augenwinkel glaubte sie, eine Leuchtkugel zu erkennen. Ming und der fette Cheung fluchten beide leise, als sich etwas plätschernd von der Barkasse entfernte. Sie hörte ein schwaches Rattern, und um sie herum bewegte sich ein gigantisches Uhrwerk.
    Das Luftschiff über der Barkasse brach sein Manöver ab und änderte den Kurs auf Südosten. Die Matrosen, die gerade noch zu ihnen hinabgeeilt waren, fielen ins Wasser und schwammen zappelnd umher. Das Luftschiff über der Five Lucky Winds verließ seine Position und zog seine Landungsseile mit sich Richtung Süden. Das letzte Luftschiff verließ ebenso seinen Kurs, der es auf einer gebogenen Bahn vor Ort gehalten hatte, und fuhr Richtung Norden.
    Doch als wichtiger erwies sich, dass die Männer mit den Waffen an Deck der Five Lucky Winds das Schießen einstellten und sich umsahen. Leungs überlebende Matrosen standen mit einem Mal auf und warfen die Angreifer über Bord. Paolina sah keinen nennenswerten Widerstand, nur Körper, die ins Wasser fielen, als ob ihre Besitzer fest schliefen.
    Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter.
    »Großer Gott im Messinghimmel«, murmelte sie. »Was habe ich nur angerichtet?« Sie hatte dasselbe getan, was sie einst mit Boas gemacht hatte, damals, am Fuß der Mauer, nur auf eine riesige, menschliche Armee übertragen.
    Mit ihrer Taschenuhr konnte der Schweigsame Orden tatsächlich die Welt zerstören.
    Ming berührte sie am Ellbogen. In seinen Augen lagen Verständnis und Mitleid. »Wir Schiff fahren.«
    Das Einzige, was sie davon abhielt, aufrichtige Reue zu empfinden, war die Erkenntnis, dass diese Männer nur wenige Augenblicke zuvor nach ihrem Leben getrachtet hatten. Sie widerstandslos und schweigend im Wasser treiben zu sehen, war dennoch Furcht erregend.
    »Schiff fahren.« Sie nickte.
    Ming und der dicke Cheung stemmten sich in die Ruder und legten die Strecke zur Five Lucky Winds so schnell zurück, wie sie nur konnten, während die Umrisse der sich nähernden Schiffe stetig größer wurden. Der Flottenverband hatte sich aufgelöst, und die Schiffe fuhren ohne Rücksicht aufeinander in verschiedene Richtungen. Die willenlosen Männer traten Wasser oder schwammen langsam umher, schienen
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