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Die Radleys

Titel: Die Radleys
Autoren: Matt Haig
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zu hauchen. Ihr fällt auf, dass sie sich gerade nichts sehnlicher wünscht, als seine Reißzähne zu sehen und sich im gegenseitigen Voneinander-kosten zu verlieren. Aber das wäre nicht richtig. Irgendwie stimmen die Voraussetzungen dafür nicht.
    »Weißt du«, sagt er leise. »Das mit neulich Nacht, das tut mir leid.«
    Helen sagt nichts und fragt sich einen Moment lang, wofür er sich entschuldigt.
    Er hebt den Kopf von ihrer Schulter und lehnt sich zurück in das Kissen.
    »Du weißt schon, mein Gejammer «, erklärt er ihr, als könnte er Gedanken lesen. »Über Blut trinken und all das. Und das über unsere Ehe hätte ich auch nicht sagen dürfen. Es war unverantwortlich, und ich hab’s nicht so gemeint.«
    Es fühlt sich seltsam an, als sähe und hörte sie ihn zum ersten Mal. Er ist immer noch attraktiv, stellt sie fest. Nicht auf diese gefährliche Weise wie sein Bruder, aber er hat etwas wirklich Liebenswertes und Angenehmes.
    Sein Anblick macht sie traurig, trotz allem. Traurig wegen all der verlorenen Tage, Wochen, Monate, Jahre, in denen sie ihn vermisst hat, obwohl sie ihr Leben mit ihm teilte. Und sie ist traurig, weil sie gleich etwas tun muss, damit es irgendeine Hoffnung auf einen wahren Neubeginn gibt, ein Leben frei von Lügen und Geheimnissen.
    »Nein«, sagt sie zu ihm, »eigentlich hattest du mit ziemlich vielen Dingen recht. Die Art und Weise, wie ich … manchmal war es wie Theater.«
    Sie denkt an das Buch neben ihrem Bett. Das sie für den Lesekreis lesen musste. Sie hat es noch nicht zu Ende gelesen, will es aber tun, wenn auch nur, um herauszufinden, was mit dem Mann und der Frau am Schluss passiert. Wird er ihr sagen, dass er für die Tötung ihrer geliebten Spatzen verantwortlich ist, deren Tod Auslöser für ihren Zusammenbruch war? Und falls er es ihr erzählt, wird sie ihm verzeihen können, dass in ihrer Umgebung kein einziger Vogel mehr singt?
    Sie fragt sich, wie viel Vergebung Peter in sich hat. Könnte es sein, dass er irgendwann mit all dem zurechtkommt, wo er doch wusste, dass Will immer alles bekam, was er sich wünschte? Oder hat es im Lauf der Jahre zu viele Lügen gegeben? Wird die Wahrheit über Rowan zu viel für ihn sein?
    »Nun ja«, sagt er, »ich schätze, bis zu einem gewissen Grad ist jedermanns Leben nur Theater, meinst du nicht?«
    Er lächelt, und es zerreißt sie beinahe, weil sie weiß, dass sie die Gelegenheit nutzen muss. »Peter, es gibt da etwas, das ich dir erzählen muss«, hebt sie an, und ihr Körper wird starr vor Angst. »Etwas aus der Vergangenheit, das aberimmer noch mit uns zu tun hat. Über Will und über mich und über uns. Uns alle.«
    Sie bemerkt, dass seine Augen leicht flackern, als würde er sich an etwas erinnern oder einen Zweifel bestätigt sehen. In seinem Blick liegt eine seltsame Intimität, und ihr fällt ein, was Will am Samstag zu ihr sagte. Er war immer schon ein ziemlicher Blutsnob, unser Peter. Hatte er einen Verdacht gehegt, in jener ersten Nacht ihrer Flitterwochen?
    Helen wird schlecht. Sie fragt sich, ob er die Zusammenhänge erst jetzt erkennt oder ob er alles schon lange weiß.
    »Helen, es gibt nur eine Sache, die mich interessiert. Nur eine einzige Sache habe ich immer schon wirklich wissen wollen.«
    »Was?«
    »Ich weiß, ich höre mich an wie ein Teenager, aber ich will wissen, ob du mich liebst. Ich muss es wissen.«
    »Ja, ich liebe dich.«
    Es ist so einfach, es laut zu sagen, diesen Satz, den sie nie richtig sagen konnte, nicht aus Überzeugung, seit der Nacht ihrer Konvertierung. Aber jetzt ist es so natürlich wie das Abstreifen eines Handschuhs. »Ich liebe dich. Ich will mit dir alt werden. Das will ich mehr als alles andere. Aber, Peter, ich glaube wirklich, dass ich dir alles sagen sollte.«
    Ihr Ehemann sieht sie mit liebevoller Enttäuschung an, als wäre sie diejenige, die nichts kapiert. »Sieh mal, Helen«, sagt er. »Der größte Teil der Welt kann nicht glauben, dass es uns gibt. Für sie sind wir Mythen. Die Wahrheit ist das, was die Leute glauben wollen. Verlass dich drauf, ich sehe das jeden Tag bei der Arbeit. Die Leute wählen eine Tatsache aus, die ihnen gefällt, und ignorieren den Rest. Ich weiß, vielleicht ist das Blutgerede, aber ich will an uns glauben. An dich und mich. An zwei Leute, die sich lieben und immer geliebt haben, wahrhaftig, trotz allem, und dass da nieetwas dazwischenkam und -kommen wird. Und vielleicht ist das jetzt ein Mythos, aber wenn du bereit bist, an diesen Mythos
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