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Die Radleys

Titel: Die Radleys
Autoren: Matt Haig
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wie erlaubt vorbeifliegen. Der Fish and Chip Shop, die Apotheke, der Delikatessenladen, alles fliegt vorbei wie flüchtige Gedanken. Er verlangsamt das Tempo erst, als er sich der Orchard Lane nähert.
    Beim Haus der Radleys angekommen, bleibt er ein paar Sekunden im Auto sitzen, um absolut sicherzugehen, dasser weiß, was er tut. Wieder versucht er, mit Eve zu sprechen. »Eve? Bitte. Kannst du mich hören?«
    Das Blut läuft immer noch aus ihr heraus. Sein Pullover ist inzwischen dunkel und mit Blut getränkt, und er weiß, dass ihm nicht viel Zeit bleibt, um sich zu entscheiden. Eine Minute vielleicht. Vielleicht weniger. Draußen liegen all die teuren Villen ruhig und nichtsahnend da, und er spürt ihre herzlose Indifferenz gegenüber dem Leben seiner Tochter.
    Die Zeit drängt, seine Entscheidung wird immer dringlicher. Soll er Eve als anderes Wesen, als etwas Hässliches, das töten könnte, weiterleben lassen, oder einfach zulassen, dass sie ihm entgleitet und eine harmlose Tote wie all die anderen wird?
    »Eve?«
    Ihre Augenlider flackern, öffnen sich aber nicht.
    Er steigt aus dem Wagen und öffnet die hintere Tür. So vorsichtig wie möglich hebt er seine Tochter vom Rücksitz und trägt sie über die Straße.
    Nein, sagt er zu sich selbst. Nein. Was machst du da? Du kannst doch nicht …
    Er stellt sich vor, dass seine Frau irgendwo ist. Zusieht. Ein Urteil fällt, wie es nur Geister fällen können. »Tut mir leid, Tess. Tut mir so leid.«
    Eve hängt schlaff in seinen Armen, als er die Einfahrt bei den Radleys hinaufläuft. Irgendwann tritt er fest, aber nicht zu heftig gegen die Tür. »Hilfe«, sagt er deutlich hörbar. Dann lauter: »Hilfe!«
    Es ist Peter, der die Tür öffnet. Er sieht Jared an, dann Eve in dessen Armen. Und all das Blut, mit dem sie beide besudelt sind.
    Jared schluckt heftig und sagt dann das, was, wie er weiß, gesagt werden muss. »Retten Sie sie. Bitte. Ich weiß, wer Sie sind, aber bitte, retten Sie sie. «

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    IN DIE FINSTERNIS
    Sie stehen alle im Kreis, wie Hirten, die bei einem makabren Naturereignis zusehen. Rowan ist immer noch triefend nass, aber er zittert weniger vor Kälte als wegen des Anblicks: Eve, die auf dem Sofa liegt, während ihr Blut in den Stoff sickert, und Peter, der ihren Puls fühlt.
    »Ist schon in Ordnung«, versichert Clara ihrem Bruder und drückt ihm die Hand. »Dad weiß, was er tut.«
    Jared kniet am Ende des Sofas, hält seiner Tochter sanft den Kopf, die zwischen wachen Momenten und Bewusstlosigkeit hin- und herpendelt. Als Eve das nächste Mal die Augen öffnet, begegnen sie Rowans Blick.
    »Hilf mir«, sagt sie.
    Rowan ist machtlos. »Ist schon gut, Eve … Dad, gib ihr Blut. Rette sie.« Zur gleichen Zeit erklärt Helen Jared eindringlich, was der bereits weiß. »Wenn wir ihr Blut geben, wird sie zum Vampir. Verstehen Sie das? Sie wird sich vermutlich sehr stark hingezogen fühlen zu der Person, mit deren Blut wir sie konvertieren.«
    Eves Augen ruhen immer noch auf Rowan. Sie weiß genau, was passiert. Sie weiß, dass er sie retten will, mehr als alles auf der Welt. Sie weiß ebenso gut wie er, wenn er sie retten darf, rettet er auch sich selbst. Außerdem weiß sie, dass sie ihn liebt, und während sie in diesem hilflosen Blick verharrt, wird ihr klar, dass Schicksal etwas ist, was sie selbst lenken muss.
    Sie versucht zu sprechen. Wie ein Anker bleiben die Worte in ihr stecken, sind zu schwer, aber sie versucht es erneut. »Deins«, sagt sie, aber er kann sie kaum hören. Einen Augenblick später ist er bei ihr, wenige Zentimeter entfernt, um besser zu hören. Ihre Augen schließen sich, erschöpft. Jeden letzten Rest Energie, der ihr noch geblieben ist, braucht sie, um zu sagen: »Dein Blut.«
    Und versinkt.
    Tiefer und tiefer in die Finsternis.

[Menü]
    MUTTERLEIB
    Sie schmeckt etwas.
    Der Geschmack ist so vollkommen, dass sie ihn nicht nur einem Sinn zuordnen kann, sie spürt seine Wärme und sieht, wie der schwarze Ozean, auf dessen Grund sie sich befindet, von einem leuchtenden, wunderbaren Rot durchdrungen wird.
    Und sie steigt wieder auf, zurück ins Leben.
    Sie schlägt die Augen auf, und da ist Rowan. Er blutet. Da ist ein offener Schnitt in seiner Handfläche, im Fleisch an der Wurzel seines Daumens, aus dem das Blut in ihre Kehle rinnt. Er sieht besorgt aus, aber seine Sorge geht allmählich in Erleichterung über. Er hat Tränen in den Augen, und sie erkennt, dass er sie rettet, jetzt, in diesem Augenblick.
    Während
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