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Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)

Titel: Die Quellen der Malicorn: Roman (German Edition)
Autoren: Ju Honisch
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Sonne. Und ihre Finger – Kanura starrte darauf – waren mit Schwimmhäuten verbunden.
    Dass sie nicht einfach ein Mädchen war, hatte er gewusst. Aber dass sie doch so deutlich anders war, hätte er nicht erwartet.
    Der rote Fleck unter ihr breitete sich immer weiter aus. Ihre Haut schimmerte. Nur ihr Haar war unglaublicherweise trocken und fiel um ihren Körper wie goldene Seide.
    » Bevor ich sterbe! « , weinte sie, und Kanuras Widerstand brach. Mit einer fließenden Bewegung kniete er neben ihr, spürte ihre Aura wie schillernd blaues Perlmutt, ließ sich davon durchdringen. Er fasste sie an den Schultern und zog sie ganz aus dem Wasser. Dabei drehte er sie um.
    Eine dolchlange Kralle stak in ihrem Bauch. Alles war voller Blut.
    Sie ergriff seine Hand, schob etwas hinein.
    » Nimm es « , flehte sie wieder. » Du wirst es brauchen! «
    Die Berührung ließ ihn ganz plötzlich begreifen: Sie war eine Quellnymphe. Jahrhundertelang hatte man keine mehr zu Gesicht bekommen. Seit dem Großen Krieg mieden sie andere Lebewesen, waren zum bloßen Mythos geworden. Wie die Uruschge.
    » Ich bringe dich nach Kerr-Dywwen « , beteuerte Kanura. » Die Heiler werden sich um dich kümmern. «
    » Du musst jetzt gehen « , sagte sie nur.
    » Ich lasse dich nicht hier allein zurück! «
    » Kanura … «
    » Ich weiß nicht einmal, wie du heißt! «
    Ihre blauen Augen waren nur noch halb geöffnet, und es schien ihr schwerzufallen, ihn anzublicken.
    » Ssenyissa « , flüsterte sie. » Ich hieß Ssenyissa. «
    Die zarte, kühle Haut unter Kanuras Hand zitterte. Mit einem Mal hielt er nur noch Wasser, das mit Blut vermischt zurück in den See floss.
    » Flieh! « , hörte er ihre Stimme im plötzlich aufkommenden Wind, dann war da nichts mehr, nur der Gedanke an ihren Blick, als sie verging.
    Unglücklich kniete er auf dem feuchten Boden. Alle Lust war verflogen. Wasser drang in seine Kleidung, dort, wo sie den Grund berührte. Er musste unwillkürlich daran denken, dass sie das war, Ssenyissa, die seine Kleidung durchnässte und seine Haut kühlte. Doch von ihr war nichts übrig außer einer Erinnerung und dem, was sie ihm überreicht hatte. Er öffnete die Hand und betrachtete den Gegenstand nachdenklich. Ein hellblauer Edelstein, münzgroß, rund geschliffen, zart funkelnd, mit goldrot glitzernden Einschlüssen.
    Vorsichtig drückte er den Stein an seine Schläfe und versuchte, ihn zu erspüren. Die Aura warf ihn beinahe nieder. Er rang nach Atem, keuchte und brauchte eine Weile, um sich wieder zu fassen. Kein Zweifel: Er, Fürstensohn Kanura von den Ra-Yurich, besaß nun zu seiner eigenen auch noch die Seele einer Quellnymphe. Das Geschenk einer Sterbenden.
    Wie konnte man eine Seele einem anderen vermachen? Eine so wunderschöne Seele?
    Er hatte ihr nicht einmal helfen können.
    Trauer durchfuhr ihn, und die Schuld drückte ihn nieder. Er hätte schneller reagieren, ihr sofort helfen müssen. Auch wenn er selbst kein Heiler war, verfügte er über einfache Heilmagie. Vielleicht hätte er sie so lange am Leben erhalten können, bis er sie zu einem echten Heiler gebracht hatte.
    Eine Nymphe. Manche aus seinem Volk glaubten, dass es ihnen zu verdanken war, dass die Tyrrfholyn früher in die Menschenwelt hatten wechseln können. Mit ihnen war auch die Möglichkeit des Übergangs verschwunden. Zurück blieb nur die Ahnung, dass es einst wahr gewesen sein musste. Wie sonst hätten die Menschen nach Talunys kommen können? Denn es gab Menschen im Reich der Einhörner. Sie mussten aus ihrer Welt gekommen sein, hatten nicht mehr zurückgefunden und waren das geworden, was sie heute waren: die Abkömmlinge einer kleinen Minderheit von Fremden, die hier Künste und Handwerk etabliert hatten, weil sie keine Magie kannten außer der Fertigkeit ihrer Hände und der Kreativität ihrer Gedanken.
    Während diese für Kanura wirklich waren, hatte er an die Existenz der Quellnymphen nie geglaubt. Freundliche Wasserwesen, kaum mehr als eine Legende. Ein Märchen, wie die Uruschge.
    Und dennoch war Edoryas tot.
    Eine Welle traf sein Knie. Kanuras Augen weiteten sich. Vor ihm wölbte sich das Wasser erneut zu einem neuen, unglaublichen Wasserhügel, teilte sich. In Windeseile wurde aus der Welle eine Woge, dann eine Flut.
    Da war sie. Ssenyissa. Die Schöne. War sie nicht eben gestorben? Nun stand sie vor ihm, wassertriefend, zum Greifen nah.
    » Ssen… « , murmelte er erleichtert, als sie ihn ansah. Dann wandelten sich die blauen Augen,
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