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Die Quelle

Die Quelle

Titel: Die Quelle
Autoren: Larissa Cosentino
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gegen die Wand vor ihrem
Klassenzimmer und warteten. Die meisten Schüler waren schon nach Hause
gegangen, so wirkte das gesamte Gebäude ungewöhnlich ruhig, fast
verschlafen. Irene hatte darauf bestanden, bei Lisa zu bleiben, obwohl sie ihr
wohl kaum helfen konnte. Bald schon würde das Gespräch zwischen ihrer
Italienisch-Lehrerin, ihrer Mutter und ihrer Großmutter beendet sein:
Irene würde sich verabschieden müssen und Lisa würde sich
alleine die Strafpredigt anhören dürfen. Bliebe es doch nur bei einer
Strafpredigt! Lisa ahnte jedoch, dieser Tag würde folgenschwer enden. Es
war, als könne sie jetzt schon die Verzweiflung ihrer Großmutter und
die Angst ihrer Mutter spüren… Erst seit einer Woche war ihre Mutter
wieder da, doch sie zu ertragen, fiel ihr bereits zunehmend schwer. Hilfreich
würde der heutige Tag dabei vermutlich nicht sein.
    Lisa und Irene konnten die Stimmen aus dem Klassenzimmer
kaum hören. Lisa kam es dennoch so vor, als erhasche sie hier und da einen
vollständigen Satz. Sie wusste, es war eigentlich nicht möglich,
dennoch hallten die Worte klar in ihr nach, als säße sie inmitten
der Gesprächsrunde. Sie versuchte das Gehörte zu verdrängen, und
das beklemmende Gefühl das es in ihr verursachte zu ignorieren. Dabei
trommelte sie ungeduldig gegen ihre Knie, im Rhythmus leiser Klänge, die
aus der Ferne in den Flur zu hallen schienen. Irene verstand offensichtlich Lisas
Unruhe als Aufforderung, das Wort zu ergreifen.
    „Bist du denn nicht neugierig zu wissen, was die sagen?“
    Lisa rollte mit den Augen. Das war eine Irene-typische
Bemerkung. Lieber sagte sie etwas Dummes, als dass sie schwieg. Sie ging
dennoch darauf ein, erleichtert, abgelenkt zu werden.
    „Sicher will ich das wissen! Was schlägst du denn
vor? Soll ich mich in eine Maus verwandeln?“
    „An mir brauchst du deine Wut nicht auszulassen! Ich war
es ja nicht, die die blöde Kuh beleidigt hat!“
    Obwohl Lisa nicht zum Scherzen zumute war, konnte sie
sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war schön, an etwas Greifbares
denken zu dürfen, auch wenn es nichts anderes war, als das geschockte
Gesicht einer Lehrerin, die gerade von einer Anfängerin in
fließendem Italienisch beleidigt wurde.
    „Ich habe ja nur die Wahrheit gesagt, ich kann ja
schließlich nichts dafür, wenn die kein Italienisch kann! Wie
können die uns so’ne unfähige Lehrerin anhängen?“
    „Klar. Aber in einem Anfängerkurs sind Profis wie du
auch nicht unbedingt, wo sie hinsollen.“
    „Ich bin kein Profi.“ Lisa senkte plötzlich
bedrückt den Kopf.
    „Ja, eh klar. Witzig.“ Irene spielte natürlich nur
die Beleidigte, so wie sie wohl vermutete, dass Lisa die Unwissende auch nur
spielte. Wie würde Irene jedoch reagieren, wenn sie ihr endlich die
Wahrheit sagen würde? Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt
gekommen, um sich ihr anzuvertrauen. Zumindest etwas konnte Lisa ihr
erzählen, nur um nicht mehr ganz alleine darüber nachdenken zu
müssen.
    „Hör zu…“ Irene kannte sie anscheinend gut genug, um
gleich zu bemerken, dass Lisa etwas Wichtiges erzählen wollte, denn sie
wurde plötzlich ernst. „…Als wir uns im Anfängerkurs eingeschrieben
haben, hatte ich dir nicht verschwiegen, dass ich schon Italienisch konnte. Ich
konnte es wirklich nicht. Ich hatte es noch nie gesprochen. Denk doch mal nach!
Wo hätte ich es denn lernen sollen?“
    Irene wirkte nachdenklich. Lisa wunderte sich sogar
darüber, wie lange sie still sein konnte, doch schließlich sah sie
misstrauisch hoch.
    „Das ist jetzt ein Witz, oder?“
    „Kein Witz. Erst nach der ersten Italienischstunde, ist
es mir eingefallen… Als hätte ich es nur vergessen. Plötzlich konnte
ich es wieder… Die ganze Sprache lag irgendwie schon in mir. Sie war einfach
nur wie… verschüttet.“
    „Das ist irgendwie unheimlich… aber auch irgendwie toll…“
    Ganz Unrecht hatte Irene nicht, aber freuen konnte sich
Lisa dennoch nicht über ihr neues Wissen… zumindest noch nicht.
    „Ja, toll… Das ist es wohl. Ich finde es jetzt gerade
eher nur unheimlich.“
    „Ja. Kann ich mir denken.“
    Irene blickte plötzlich zur verschlossenen Tür
des Klassenzimmers.
    „Weiß deine Mutter das schon?“
    „Nein. Und meine Oma auch nicht.“
    „Wow…“
    Mehr gab es dazu nicht zu sagen, doch einfach nur mit
Irene ihre Sorge zu teilen, half schon. Vielleicht würde sie ihr auch
alles andere erzählen, von diesen Klängen, die sie hören konnte,
jedes Mal wenn sie nur
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