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Die Quelle

Die Quelle

Titel: Die Quelle
Autoren: Larissa Cosentino
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ihren
rasenden Herzschlag. Sie hatte die Situation aus drei Blickwinkeln gleichzeitig
erlebt! Das war mehr als sie verkraften konnte! Und doch… Die Klänge
hatten die Kälte, den Schmerz und die Dunkelheit im Körper ihrer
Mutter verdrängt…
    Nur allmählich kam Lisa zu Atem… Sie hörte ihre
Großmutter, die anscheinend trotz ihrer Verzweiflung als erste die
Fassung zurück erlangte und ihrer Stimme die nötige Autorität
verlieh, um Normalität vorzutäuschen.
    „Fahr uns jetzt erstmal nach Hause! Das sind keine
Gespräche, die man im Auto führt.“ Sie knallte die Autotür zu
und legte demonstrativ den Sicherheitsgurt an. Erst als Sandra den Motor wieder
startete, wandte sie sich zu Lisa, doch zum Glück war sie dermaßen
in ihrer Rolle als Familienoberhaupt aufgegangen, dass sie Lisa nicht genau
ansah. „Und du denkst erstmal darüber nach, in welchem Ton man mit seiner
Mutter spricht. Man verlangt nicht. Man bittet. Ich will jetzt während der
Fahrt nichts mehr von dir hören.“ Veronika saß steif und mit
verschränkten Armen auf ihrem Sitz, als könne sie allein durch ihr
Verhalten jede Situation meistern. Lisa wusste es besser. Sie wusste jetzt, wie
verzweifelt ihre Großmutter war und wie sehr sie unter der Last ihrer
kleinen Familie litt. Jeder Zwischenfall konnte der letzte sein, den sie
imstande war zu ertragen.
    Lisa blieb still. Nicht, weil es ihr befohlen wurde,
sondern weil es ihr Wunsch war. Sie musste versuchen zu verstehen, was gerade
passiert war… Wie hatte es angefangen? Sie hatte von ihrer Mutter verlangt,
ihren Vater zu finden… Weshalb? Warum wollte sie eigentlich ihren Vater sehen?
Sie wusste es nicht. Sie wusste auch, dass sein Name nicht Giorgio war, dennoch
hatte der Name Giorgio irgendetwas mit ihm zu tun... Lisa schloss die Augen.
Die ganze Welt schien sich wieder zu drehen... im Rhythmus einer
nervenaufreibenden Musik… einer penetranten Musik, die in ihren Ohren hallte…
    „Mama? Könntest du bitte das Radio leiser drehen?“
    Erst als Sandra erstaunt in den Rückblickspiegel
nach ihr sah, wurde Lisa bewusst, wie sanft und freundlich ihre Stimme
geklungen hatte. So hatte sie noch nie zu ihrer Mutter gesprochen und
entsprechend sorgenvoll klang Sandras Antwort.
    „Das Radio ist aus... Lisa, ich glaube, wir sollten zu
einem Arzt...“
    Sie hatte einen Fehler gemacht! Natürlich war das
Radio aus, natürlich war es keine Musik, die sie gerade gehört hatte…
Und ein Arzt würde sicherlich nicht helfen können! Sie bemühte
sich, um einen ruhigen Tonfall und um Schadensbegrenzung.
    „Nein, nein, schon gut… T’schuldige, ich war nur kurz
eingeschlafen und habe wohl geträumt.“
    Wieder hatte sie einen Fehler gemacht. Den erkannte sie
erst, als sie sah, wie Veronika und Sandra abermals einen erstaunten und zugleich
besorgten Blick tauschten: Sie hatte sich bei ihrer Mutter entschuldigt. Das
hätte sie unter gewöhnlichen Umständen nie getan. Wie hätte
sie jedoch ihr übliches, aggressives Verhalten beibehalten können,
jetzt da sie wusste, wie sich ihre Mutter fühlte, wenn sie einen Anfall
bekam?
    Lisa sah von den beiden weg und bemühte sich, Ablenkung
zu finden, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die vorbeiziehenden kleinen
Häuser richtete. Nach Antworten suchte sie nicht länger. Sie wusste,
sie brauchte dafür ihren Vater.
    *
    Kaum waren sie zu Hause angekommen, floh Lisa sofort auf
ihr Zimmer, verschloss ihre Tür, legte sich auf ihr Bett und ließ
zu, was sie nicht verhindern konnte...
    Sie ließ zu, die seltsame Musik zu hören, sie
ließ zu, dass Bilder sich in ihren Kopf drängten und sie
bemühte sich dabei, diese zu begreifen. Sie sah einen See, in ein blaues
Licht getaucht. Eine wunderschöne, friedliche Landschaft... Die Musik
wurde harmonischer, beruhigend, fast hypnotisch. Eine leichte Brise erfasste
die Blätter der Bäume, die um den See wuchsen, doch die
Wasseroberfläche blieb unberührt und glatt. Lisa fühlte sich
wohl beim Betrachten dieser Landschaft. Allmählich verflüchtigten
sich ihre Ängste und das gerade Erlebte rückte weit in den
Hintergrund ihrer Erinnerungen, als habe es in einer fernen Vergangenheit
stattgefunden. Sie fand Halt in dieser Landschaft, ein Gefühl der Geborgenheit
erfasste ihre Seele und sie wurde schläfrig, als habe sie einen Ort
gefunden, an dem sie nicht mehr kämpfen musste, an dem sie ihrer
Erschöpfung gefahrlos nachgeben konnte… Die Klänge kamen aus den
Tiefen des Sees selbst und bargen mehr Lebensfreude in
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