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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Mo Hayder
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von Beechway sind die Überreste des Armenhauses – umfassend neugestaltet, befreit von all den Dingen, die an den ursprünglichen Zweck des Gebäudes erinnern. Der alte Wasserturm – eine übliche Sicherheitseinrichtung, die verhindern sollte, dass eine Anstalt von den Insassen in Brand gesetzt wurde – wurde umgebaut und bekam eine große Uhr, die als Rechtfertigung für seine Existenz dienen sollte. Der Grundriss der Stationen, der von oben betrachtet absichtlich oder zufällig einem Kreuz entsprach, wurde als zu religiös empfunden, und so kam ein heller Kopf im Kuratorium auf die Idee, das Kreuz in ein vierblättriges Kleeblatt zu verwandeln. Viel organischer .
    Die Arme des Kreuzes wurden zur Seite hin zur Form eines Kleeblatts verlängert, und Beechway bekam die Gestalt, die es heute hat. Jedes »Blatt« ist eine zweigeschossige Station mit Patientenzimmern. Auf der einen Seite liegen verglaste Gemeinschaftsräume, auf der anderen die Dienst- und Therapiezimmer. Die Fenster sind groß und glatt, die Ecken gerundet. Der »Stiel«, ein gläserner Korridor, führt von den Stationen im Kleeblatt durch einen zentralen Garten, den »Hof«, zu dem langgestreckten, gewölbten Block mit den Verwaltungsbüros. Alles – jede Station, jeder Korridor, jedes Zimmer, jedes Bad – trägt den Namen einer Blume.
    Es ist eindeutig organisch.
    Als er Monster Mother verlassen hat, geht AJ langsam in jedes Blatt, kontrolliert jede Station, jeden Korridor – Butterblume, Myrte, Glockenblume – und vergewissert sich, dass die anderen Patienten nicht gestört worden sind. Die meisten schlafen tief oder sind kurz davor, fest in den Klauen ihrer Medikamente. Bei manchen bleibt er stehen, um leise mit ihnen zu sprechen. Monster Mother und ihre Haut erwähnt er nirgends.
    Er kommt am Fernsehzimmer vorbei, wo die Pfleger immer noch über Men in Black lachen, und geht durch den Stiel und weiter in den Verwaltungstrakt und zurück zu seinem Büro. Er will eben die Tür öffnen, als er zwanzig Meter weiter hinten im Korridor einen der Wachmänner sieht. Es ist der riesenhafte Jamaikaner, den sie wegen seiner schwerfälligen Körpermassen nur Big Lurch nennen. Er steht mit den Händen in den Taschen da und ist in einen gerahmten Druck an der Wand vertieft. Etwas in seinem Gesicht veranlasst AJ, stehen zu bleiben. Big Lurch wirft einen Blick zur Seite, sieht ihn und lächelt. »Hey, AJ.«
    »Hey.«
    »Die Fraggles schlafen?«
    Big Lurch meint die Patienten. Niemand würde den Ausdruck vor einem Kuratoriumsmitglied benutzen, aber die Mitarbeiter nennen die Patienten Fraggles, nach der alten Puppenserie aus dem Fernsehen. »O ja, sie schlafen. Der Zauber ist immer da, solange wir danach suchen .« Er geht den Korridor hinunter. »Was machst du da?«
    »Ach, keine Ahnung.« Ein bisschen verlegen deutet Big Lurch auf den Druck an der Wand. »Seh mir das gerade an. Hab mir anscheinend nie die Mühe gemacht.«
    AJ macht schmale Augen und betrachtet das gerahmte Bild. Es ist ein Aquarell aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, und es zeigt das Armenhaus, als es neu war. Solche Drucke hängen hier überall und zeigen die Hochsicherheitsklinik Beechway in verschiedenen Inkarnationen. Auf Kupferstichen sieht man sie als Armenhaus, gerahmte Zeitungsartikel bilden die Ernennung eines neuen Direktors in den fünfziger Jahren ab, und es gibt sogar ein Gemälde, das die Klinik nach dem Umbau mit ihrer Rundumverglasung zeigt. Er fühlt sich in das Bild hineingezogen und sieht die einzelnen noch wiedererkennbaren Teile des Gebäudes – Teile, die mehr als hundertfünfzig Jahre überstanden haben. Hier ist der Hof, da der Turm, dort die Achse des Kreuzes, das jetzt das Kernstück des Kleeblatts bildet.
    »Bei Unwetter ist mir hier nie so recht wohl«, sagt Big Lurch plötzlich. »Dann muss ich an die Schwachstellen denken.«
    »Schwachstellen?«
    Er nickt. »Die Stellen, die diese Architekten in den Achtzigern nicht richtig durchdacht haben.«
    AJ schaut Big Lurch von der Seite an. Was er sieht, ist die Angst, der Ausdruck des Unbehagens, der ihm in den letzten paar Tagen in der Klinik so vertraut geworden ist. Nicht zu glauben, einfach nicht zu glauben. Er hat längst begriffen, dass er nicht allzu freundschaftlich mit den Mitarbeitern umgehen darf, aber bei Big Lurch macht er eine Ausnahme. Er mag diesen Kerl. Er hat schon etwas getrunken mit ihm – hat seine Frau und die beiden kleinen Töchter kennengelernt –, und in der ganzen Zeit hat er nie das
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