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Die Pubertistin - eine Herausforderung

Titel: Die Pubertistin - eine Herausforderung
Autoren: Baumhaus
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überraschend viel aushalten, dass keiner von uns hysterisch wird und – Extraüberraschung! – dass wir immer noch die blöden Schlager unserer Kindheit kennen, die wir leise und im Takt der piependen Geräte dem Opa vorsingen. Kurz vor elf bittet uns die Nachtschwester, morgen wiederzukommen.



Daheim warten die Pubertistin und ihr Vater auf mich, sitzen in der dunklen warmen Nacht und wollen wissen, wie es um den Opa steht. Damit habe ich nicht gerechnet, ich bin hundemüde. Was soll ich sagen? Sie ist jetzt sechzehn, aber immer noch ein Kind. Oder? Ich beschließe, die Wahrheit zu sagen. Es steht nicht gut, sage ich zur Pubertistin, es kann sein, dass der Opa stirbt. Ihre Reaktion zeigt mir, dass die Evolution unterschiedliche Formen von Hysterie bereithält, dieses Kind aber ansonsten aus meinem Holz geschnitzt ist. Statt einer Ohnmacht hat meine Tochter Wut im Angebot. Das ist doch Scheiße, voll unfair!, stößt sie zwei, drei Minuten lang immer wieder her vor. Kackekackekacke!,jault sie und stampft mit dem Fuß auf. In den Arm nehmen lassen will sie sich auf gar keinen Fall. Stattdessen schreit sie Verwünschungen in die Nacht. Der Pubertistinnenvater und ich werfen uns Blicke zu. Was ist denn das wieder für eine seltsame Art von Anteilnahme? Wieso braucht dieses Kind keinen Trost, sondern schreit nur? Sie tut uns leid.
     
    Irgendwann kriegt sich auch die Pubertistin wieder ein. Sie weint jetzt, setzt sich auf den Schoß ihres Vaters, und wir reden lange über die Brutalität von Werden und Vergehen. Ich trinke einen großen Schnaps, weil mich bei allem gefassten Gerede darüber die nackte Angst anspringt. Ich spüre: Ich bin noch immer das hysterische Kind von damals, aber ich habe gelernt, das zu unterdrücken. Mehr Fortschritt hat es in diesen drei Jahrzehnten nicht gegeben. Aber dass wir das tun – in der warmen Juninacht sitzen und reden – fühlt sich sehr gut an.
     
    Zwei Tage später kommt der Opa doch noch zurück aus seiner fernen Welt. Er wacht auf, die Maschinen werden abgestellt, er ist tatsächlich wieder bei uns. Alles ist ganz einfach und klar. Wir Kinder und die Oma stehen um sein Bett herum, grienen wie Betrunkeneund faseln dummes Zeug. Wir kriegen uns gar nicht mehr ein vor Freude. Er ist noch mal davongekommen, wir sind noch mal davongekommen. Es ist nichts weniger als ein Wunder.
     
    Der Opa erholt sich so schnell und so fabelhaft, dass wir uns alle zehn Tage später auf der Stadtrand-Terrasse wiedersehen. Wir werfen Würstchen auf den Grill, trinken Wasser, Radler und Wein, die Pubertistin setzt sich ganz nah zum Opa. Entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten legt sie immer mal wieder den Arm um ihn, sie drückt ihre Stirn an seine Schulter und holt, ohne zu murren, den Senf aus der Küche. Ein Stündchen währt diese Idylle. Dann ruft Elektra an, dann auch Yasmin, die Pubertistin hat allerlei zu bereden und verschwindet mit dem Telefon in ihrem Zimmer.
     
    Als wenig später die Gäste aufbrechen, ist sie noch immer in lebenswichtige Gespräche vertieft. Der Opa kommt in ihr Zimmer, er will sich verabschieden. Die Pubertistin liegt auf ihrem ungemachten Bett, sie bittet Yasmin, kurz zu warten, drückt den Hörer gegen die Brust und winkt dem Opa von weitem zu: Tschö, Opi, pass auf dich auf! Bist nichtsauer, wenn ich dich nicht zur Tür bringe, oder? Dann telefoniert sie weiter.
     
    Äh, war da was? Gab es da nicht kürzlich erst eine laue Nacht, in der von Gefühlen die Rede war, von Liebe und Verlustängsten? Ist das dieselbe Person, die geweint hat bei dem Gedanken, dass alle, die sie liebt, sterben werden?
     
    Der Opa nimmt’s nicht krumm. Er winkt der Pubertistin zu, und mir sagt er am Gartenzaun, dass er sich eigentlich freut, dass seine Enkelin kein großes Gedöns macht. Recht hat er. Wenn sie wiederkommt, die nackte Angst, wird die Pubertistin bereit für sie sein – an allen anderen Tagen hat sie frei.

Wir werden unsere Pubertistin zu ihnen schicken, auf dass sie in jenem fernen Ausland ein Jahr zur Schule geht. Und für die Pubertistinnenschwester ist es eh Zeit davonzufliegen – nach nur einem Jahr Bedenkzeit hat sie sich entschlossen, in einer entfernten Großstadt Philosophie zu studieren. Eine Fachrichtung, vor der wir sie immer gewarnt haben. Aber was soll’s, wir sind froh, dass ihr überhaupt etwas Spaß machen könnte.
     
    Auch wir Erziehungsberechtigten müssen uns langsam ein paar warme Gedanken darüber machen, wie es für uns weitergeht – ohne
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