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Die Pubertistin - eine Herausforderung

Titel: Die Pubertistin - eine Herausforderung
Autoren: Baumhaus
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Spülhandschuhe noch nicht erfunden waren.
     
    Nach dem Broilerdesaster suchte ich mir einen Job, der zwar ebenfalls sehr schlecht bezahlt war, aber zumindest meinem angestrebten Bohemienne-Status entsprach. Ich arbeitete als Garderobenfrau im Theater am Schiffbauerdamm, der weltberühmten Brecht-Bühne. Die Sache war mir ernst. Ich hatte meinen Brecht gelesen, ich spürte noch die Aura des Meisters in den Rundgängen. Und wenn ich die Toilette benutzte, musste ich immer daran denken, dass schon Helene Weigel, die Gattin des Meisters und spätere Intendantin des Theaters, hier gepullert hat. Ich erwähnte, dass es mir ernst war mit der Kunst? Deshalb fand ich das eben ganz normal, also die Sache mit Frau Weigel.
     
    Wenn die Vorstellung vorbei war, setzte ich die zwanzig Ostmark Lohn sofort in der Theaterkantine um. Ich trank eine Brause und beobachtete die berühmten Schauspieler, wie sie sich betranken, spreizten und mitunter anschrien. Hin und wieder pflanzte sich einer neben mich und gab vor, mich irgendwoherzu kennen. Aber für solche Tricks war ich selbst mit sechzehn schon zu alt. Kurzum, die Nächte am Schiffbauerdamm waren großartig und speisten sich aus meiner bedingungslosen Hingabe an Brechts Theater.
     
    Ich erzähle der Pubertistin davon. Wie ich mich in die Vorstellungen geschlichen und lautlos die Texte mitgesprochen habe. Wie elektrisiert ich in der Kantine gesessen habe. Ich will gerade über meine Verbindung zu Helene Weigel sprechen, als die Pubertistin mich unterbricht. Wie viel?, fragt sie. – Was, wie viel? – Na, was du da verdient hast, sagt sie. 20 Mark am Abend, Ostmark natürlich.



Jetzt zeigt sich, dass das schlaue Kind doch ein bisschen in der Schule aufgepasst hat. 20 Mark Ost, rechnet sie mir vor, das sind bei dem Vor wendeumtauschkurs 4 Mark West, das sind zwei Euro. Wenn ich davon ausgehe, dass so eine Theateraufführung drei Stunden dauert, hast du für einen Stundenlohn von 66 Cent gearbeitet. So toll kann dieser – wie hieß er gleich? – Brecht gar nicht gewesen sein, um sich von ihm ausbeuten zu lassen. Was ist mit Nacht- und Sonntagszuschlägen, warstdu überhaupt versichert? Ich würde unter solchen Voraussetzungen keinen Finger rühren, das wäre Ausbeutung.
     
    Ich bin fasziniert. Sie hat recht. Aber sie verpasst auch etwas Tolles: Hingabe. Ich gehe nach nebenan an den Computer und ordere drei Karten fürs Theater am Schiffbauerdamm. Für die Pubertistin und für Elektra und Yasmin. Sogar die Monatskarte kriegt sie für diesen Abend. So sieht verantwortliche Taschengeldpolitik aus, zumindest aus meiner Sicht.

Dem Aufbruch Richtung Schule steht erkennbar nichts im Wege. Doch da öffnet das Kind den Mund und fordert unverblümt einen Entschuldigungszettel für die ersten beiden Schulstunden.
     
    Wie das, liebes Kind, fragt die Mutter, sollte mir entgangen sein, dass die Schulpflicht abgeschafft ist? Mitnichten, liebe Mutter, entgegnet die Einssechzigblondine, aber die ersten beiden Stunden sind Sport. Ist das vielleicht ein Grund?, fragt die Mutter. Ich wüsste keinen besseren, entgegnet das Kind.
     
    Es verhält sich so, dass die Pubertistin noch nie einen besonders starken Bewegungsdrang verspürt hat. Schon als Kleinkind saß sie gern rum, das Kinn in ihre süße Babyspeckfaust gestützt und starrte ein gepflegtes Loch in die Luft. Im ersten Grundschuljahr probierte sie es mal mit Reiten, weil das ihre Schwester auch machte. Aber da waren ihr die Sportgeräte zu groß. Beim Judo stellte sie sich ein Jahr lang sehr geschickt und vielversprechend an. Aber dann kam das Weihnachtsturnier, bei dem sie nach neun flotten Siegen einen einzigen Kampf verlor. Das war’s mit Judo. Keine zehn Pferde kriegten sie nach dieser unverhofften Niederlage mehr auf dieTatami – welcher grausame Gott hatte das zulassen können?
     
    Als sie mit zehn Jahren die Segnungen unkontrollierten Fernsehens entdeckte, war es ganz aus. Wozu bewegen, wenn es doch bewegte Bilder gibt? Aber endgültig auf den Geschmack an der Faulheit kam sie schließlich in der achten Klasse, als sie den vierwöchigen Schüleraustausch in die USA mitmachte. Hier, so schrieb sie uns in einer E-Mail über das Leben in ihrer Gastfamilie, ist es geil. Wir gehen ganz oft zu Mäckes, abends chatten wir bis spät in die Nacht mit Jungs, und das Beste ist: Edens Mom fährt uns jeden Tag in ihrem riesigen Auto zur Schule und zurück. Ein Fahrrad hat übrigens keiner. Ehrlich gesagt würde ich am liebsten hierbleiben.
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