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Die Pubertistin - eine Herausforderung

Titel: Die Pubertistin - eine Herausforderung
Autoren: Baumhaus
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Ich hoffe, ihr seid nicht sauer deshalb.
     
    Ach was, da sind Eltern doch nicht gekränkt! Das ist doch ganz normal, dass ein Kind aus der Fremde nicht mehr nach Hause zurückmöchte, oder? Nichts nachvollziehbarer als der Wunsch, jene entfremdete Konsumwelt unserem beschaulichen Kleinstadtleben vorzuziehen. Und was kann es für eine minderjährige Speckgürtelbewohnerin Schöneres geben, alsvon einer amerikanischen Mom in ihrem Zwanzig-Liter-auf-hundert-Meilen-Wagen durch die Gegend geschaukelt zu werden?
     
    Unser Wiedersehen am Flughafen verlief entsprechend kühl – auf beiden Seiten. Als sie am nächsten Morgen ordnungsgemäß wieder zu ihren vier Kilometern Richtung Kleinstadtschule aufbrechen musste, sahen wir vom Küchenfenster aus, wie sie ihrem Fahrrad einen gezielten kräftigen Tritt verpasste.
     
    Woher hat sie das bloß, fragte der Vater und schaute der Pubertistin nach, die schweren Tritts am Horizont verschwand. Ich hab’ gekickt in dem Alter, sagte er, ich bin schwimmen gegangen, hab’ Tischtennis gespielt – Kreisklasse, wohlgemerkt! – und das hat richtig Spaß gemacht. Mir nicht, erwiderte ich, ich hatte eine Sportbefreiung.



Ja, so war das, und dann erzählte ich dem Vater von meiner schulsportlichen Laufbahn, die ich erfolgreich vorzeitig zu beenden wusste. Jederzeit kann ich mir den Geruch unserer Schulturnhalle herbei halluzinieren, die praktische Frisur von Sportlehrerin Kneschk, das Geräusch des Sprungbretts, wenn diekleine, begabte Angela Wilhelm elastisch über den Bock jachtet oder auf dem Schwebebalken eine Waage macht, die ihren knackigen Busen sehr gut zur Geltung bringt.
     
    In dieser Erinnerung spiele auch ich eine Rolle. Ich spüre, wie das Kletterseil sich in meine Oberschenkel brennt. Wie die Jungs lachen, wenn diese verdammte Kugelstoßkugel zwei Meter vor mir im Schulhofstaub landet. Wie beim Abschwung am Stufenbarren mein Bauch gegen den Holm kracht. Ganz schlimm die Minuten, in denen die Völkerball-Mannschaften per Zuruf ausgewählt werden. Mit den anderen beiden Bewegungsidioten muss ich meinen spieluntauglichen Körper feilbieten, bis sich eine Riegenführerin (oh Gott, so hieß das wirklich!) meiner erbarmt.
     
    So viel Spaß hat das gemacht, sagte ich zum Vater. Mit fünfzehn Jahren bin ich so lange zum Orthopäden gerannt, bis ich eine schöne unbefristete Sportbefreiung wegen irgendwas bekommen habe. Ab da durfte ich endlich mit dem Asthmatiker und den drei menstruierenden Mädchen aus meiner Klasse die Sportstunde auf der Bank verbringen. Und abder zehnten blieb ich gleich ganz hinter der Turnhalle und rauchte dort eine Zigarette nach der anderen. Herrlich!
     
    Das alles weiß die Pubertistin natürlich nicht, und sie wird es auch nie erfahren. Wo kämen wir denn hin, wenn sie den Sportunterricht schwänzt, so ein Kind braucht doch Bewegung. Den Entschuldigungszettel kann sie vergessen. Sieh mich an, sage ich zu ihr und helfe ihr in die Jacke, ich gehe laufen und mache Yoga. Ja, sagt sie, du bist so ’ne ganz Sweete, und kneift mir spöttisch in die Wange. Ja, genau, ich bin so ’ne ganz Sweete, und du gehst jetzt mal schön los zur Schule. Die ersten beiden Stunden hast du Sport.

Ich weiß: Die Sache ist ernst, denn die Oma würde nie ohne triftigen Grund so einen Satz sagen. Sie ist eher von der pragmatischen Sorte und ordnet mich als Tochter noch immer als zu schonendes Kind ein, dem Wahrheiten nur bedingt zuzumuten sind. Diese Annahme beruht darauf, dass ich vor mehr als dreißig Jahren mal einen hysterischen Anfall bekommen habe, als meine Eltern die traurige Tatsache erwähnten, dass auch sie einmal sterben würden. Mich, die ich wegen der brutalen Logik dieser Feststellung augenblicklich in einen ohnmachtsähnlichen Zustand verfiel, versuchten sie mit Bemerkungen wie »Aber das ist noch gaaaanz lange hin« vergeblich zu trösten. Seitdem gelte ich bei allen Fragen von Krankheit und Tod als zu schonende Hysterikerin.
     
    Mehr als drei Jahrzehnte ist das also her, an meinem Status hat sich seither nichts geändert. Nun also dieser Anruf: Da ist was schiefgelaufen.
     
    All die Jahre hatte ich mich gefragt, was passieren würde, wenn so ein Satz kommt. Aber nun ist alles ganz einfach und klar. Ich fahre ins Krankenhaus, und da warten wir alle zusammen darauf, dass derOpa von dort, wo er ist, wieder zu uns zurückkommen möge. Am Krankenbett stellt sich heraus, dass wir tatsächlich und immer noch eine tolle Familie sind, dass wir zusammen
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