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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine
Autoren: Pamela Freeman
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bildete den Unterschied zwischen Überleben und Wohlstand, zwischen von einem Tag auf den anderen zu leben und einen Notgroschen im Rücken zu haben. Ihre Felle brachten ebenfalls Silber ein, mochten es auch nicht die dicken, teuren sein, die man aus den kälteren Gebieten des Nordens um Foreverfroze bekam. Dabei nahm ihr der alte Ceouf, der Kriegsherr,
glatt noch die Hälfte von dem, was sie an ihnen verdiente, als »Luxussteuer« ab.
    Es gab immer jemanden im Dorf, der bereit war, für den Kriegsherrn zu spionieren. Beim jährlichen Steuertag im Herbst in Wooding war es erstaunlich, zu sehen, wie der Verwalter des Kriegsherrn alles zu wissen schien, was im vergangenen Jahr angebaut, großgezogen, verkauft oder gekauft worden war. Bramble hatte die Witwe Farli im Verdacht, eine Informantin zu sein, konnte es ihr aber nicht verübeln. Eine alleinstehende Frau musste sich auf irgendeine Weise den Schutz des Kriegsherrn erkaufen.
    Ein Wolfsfell hatte Bramble noch nie mit nach Hause gebracht. Ihre Mama hielt nichts davon, war der Meinung, es gehöre sich einfach nicht, was Bramble wiederum, wie so oft, nicht nachvollziehen konnte.
    »Nur die Götter wissen, was mal aus dir werden wird, Mädchen«, sagte Mama. Böse fand Bramble dies nicht, denn es wurde mit einer Art wütender Zuneigung zum Ausdruck gebracht. Dann seufzte ihre Mama jedoch und konnte sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »Wärst du doch bloß deiner Schwester ähnlicher!«
    Als Bramble sechs, sieben, acht Jahre alt gewesen war, hatten dieser Seufzer und dieser Satz dazu geführt, dass sich ihr Magen vor Verzweiflung verkrampfte. Mit neunzehn schaute sie ihre Mutter lediglich mit hochgezogener Braue an und lächelte. Es führte zu nichts, sich dadurch verletzen zu lassen; weder sie noch ihre Eltern würden sich ändern. Konnten sich ändern. Und falls dadurch noch immer ein kaltes, leeres Gefühl in ihr war, dann war es ihr so vertraut, dass sie es nicht mehr wahrnahm.
    »Ich mache dir einen prächtigen Umhang daraus, Mama«, sagte sie und zwinkerte. »Stell dir nur vor, wie beeindruckt die anderen beim Winterfesttanz sein werden.«

    Widerwillig lächelte ihre Mutter. »O ja, natürlich. Ich sehe mich schon in einem Wolfspelzumhang. Einen hübschen Anblick werde ich damit abgeben. Nein, danke.« Sie schaute auf das Kaninchen und die Kräuter hinab. »Na ja, dies hier wird ein schönes Mahl geben.«
    Den Dank, der aus diesen Worten sprach, erwiderte Bramble mit einem Nicken; sie nahm das gute Messer, das ihre Mutter ihr reichte, und ging zum Fluss, um das Fell sorgfältig abzuschaben.
    Immer wieder schaute sie dabei zu den Scharen von Tauben und Saatkrähen auf, die als Vorboten des Sommers am Himmel kreisten. Weit über ihnen, in großer Höhe, glitt ein blauer Reiher dahin, sorglos, wie es in einem alten Lied hieß. Er kam von jenseits des Großen Walds, aus der Nähe von Foreverfroze. Sie sehnte sich danach, zu sehen, was er gesehen hatte. Eines Tages mal, aber jetzt noch nicht, weil die Götter es ihr untersagten.
    »Höchste Zeit, die Ziegen zu melken, Bramble!«, rief ihre Mutter aus der Hintertür.
    Einen Laut des Unmuts von sich gebend, trottete Bramble zum Schafstall. Am Tor verweilte sie einen Augenblick und beobachtete, wie der Himmel sich allmählich in jenes blasse Blau mit einem hellen Graustich färbte, wie es an Frühlingsabenden kurz vor Einbruch der Dunkelheit stets der Fall war. Zum hundertsten, vielleicht tausendsten Mal überlegte sie, wo die Vögel wohl den Winter verbracht hatten. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich schon gewünscht, sich auf den Weg machen zu können. Als sie noch ein Kind gewesen war und den Erzählungen von den Reisen ihres Großvaters gelauscht hatte, hatte sie sich geschworen, dass sie es eines Tages tun würde. Einfach aufbrechen. Doch als sie älter wurde, schaute sie sich die Wanderer an, die nach Wooding kamen, und stellte fest, dass sie allesamt einem
Gewerbe nachgingen, einer Fertigkeit. Wanderarbeiter, Musikanten, Sänger, Trommler, Wand- und Schildermaler, Zureiter … Bramble besaß keine Fertigkeit, die irgendwem irgendetwas wert gewesen wäre. Jagen und Nahrung suchen konnte sie, doch was sollte ihr das auf der Straße nutzen, weit weg vom Wald?
    Also schmiedete sie ihren Plan. Sie würde ihre Kupfermünzen sparen und sich Richtung Norden aufmachen, zu dem Großen Wald in der Letzten Domäne, wo Nerz-, Wiesel- und Fuchsfelle so dick waren, dass die Leute aus der Stadt gutes Silber dafür bezahlten.
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