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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine
Autoren: Pamela Freeman
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Sie würde nicht ziellos wandern, sondern dorthin gehen, wo ihre Fertigkeiten von Nutzen waren und ihren Lebensunterhalt sichern würden. Sie würde den ältesten Wald auf der Welt zu sehen bekommen und seine Geheimnisse erfahren, und dort, in seinem grünen Dunkel, würde sich ihre Sehnsucht erfüllen.
    Als sie mit einem Eimer schaumiger Milch zum Haus zurückkehrte, hatte ihre Mama Waschwasser für sie erhitzt sowie Käse, Brot und Trockenäpfel hergerichtet, »damit wir uns über Wasser halten, bis der Eintopf fertig ist«. Bramble lächelte - das war die Art ihrer Mutter, einen Scherz zu machen und Wiedergutmachung dafür zu leisten, womöglich in zu scharfem Ton gesprochen zu haben. Sie entschuldigte sich nie, doch die Trockenäpfel waren am Ende des Winters knapp, und diese bloß für eine kleine Zwischenmahlzeit hervorgeholt zu haben, reichte Bramble als Entschuldigung völlig aus.
    Eine Weile später kamen ihr Papa und ihr Opa, nach Zedernholz riechend, aus der Werkstatt und nahmen erwartungsvoll vor dem Kanincheneintopf Platz.
    »Woran arbeitet ihr gerade?«, fragte Bramble.
    »Eine Truhe für Decken, für den Gastwirt. Ich habe ihm gesagt, dass Lorbeer die Motten genauso fernhält wie Zedernholz,
aber er meint, sein Stadtkind Sigi habe nur das Beste verdient«, sagte Papa und lächelte.
    »Sie ist der Grund, weshalb er sich eine neue Truhe leisten kann«, sagte Großpapa. »Sie ist eine bessere Brauerin, als er es jemals gewesen ist.«
    »Ist ja auch kein Kunststück«, sagte Mama und rümpfte dabei die Nase. Überraschenderweise mochte Mama gutes, starkes Malzbier, trank davon jedoch, was nicht überraschte, nie mehr als eins.
    Das Essen verlief wie immer; sie sprachen über die Ereignisse des Tages und den Klatsch im Dorf, und sie fragten sich, wie es Maryrose und Merrick ging und wann wohl die Nachricht käme, dass ein Enkelkind unterwegs war. Mama erwähnte das Wolfsfell nicht, und auch Bramble hielt sich diesbezüglich zurück, da sie nicht sicher war, wie viel von der Geschichte sie weitererzählen sollte. Gar nichts, vielleicht. Falls es Ärger geben würde, war ihr klar, dass es sicherer für ihre Familie war, wenn sie gar nichts wusste.
    Wieder fühlte sie Ungeduld in sich aufkommen, spürte sie eine Verärgerung. Es war falsch, dass sie alle ihr Leben lang in Furcht vor den Leuten des Kriegsherrn leben mussten. Während sie am Tisch saß, wie sie es an jedem Abend ihres Lebens getan hatte, überkam sie ein vertrautes Gefühl. Es war das Verlangen, wegzugehen, irgendwohin, ganz egal wohin, Hauptsache weg von hier. Das Gefühl war ihr so vertraut, dass sie wusste, was sie deswegen unternehmen musste. Gar nichts. Als Nächstes würden ihr die Stimmen der einheimischen Götter » Noch nicht « ins Ohr flüstern. Das hatten sie bisher jedes Mal getan, seit sie diese Worte zu begreifen im Stande war, wenn ihr so zu Mute gewesen war. Und jedes Mal hatte sie in Gedanken zurückgefragt: Wann? Aber sie gaben nie Antwort.

    Dieses Mal jedoch, als sie von Ungeduld und dem Verlangen erfüllt wurde, fortzufliegen wie die Wildgänse im Herbst, reagierten die Götter nicht. Nur Schweigen. Dass eines der festen Muster in ihrem Leben ohne Vorwarnung durchbrochen wurde, ließ es ihr kalt über den Rücken laufen und beschleunigte ihren Herzschlag.
    Nach dem Abendessen trat sie in die windige, kalte Dunkelheit hinaus und steuerte mit untrüglicher Sicherheit den schwarzen Felsaltar im Wald nahe dem Dorf an. Er befand sich nicht im tiefen Wald, sondern in einem Buchenhain mit unbelaubtem, skelettartigem Geäst, dessen Boden mit Ausnahme der Blätter aus dem Vorjahr und zart sprießenden Farnkräutern unbedeckt war. Der Altar war in der Nähe der Grabhöhlen, wie es sich gehörte, auf einer von anderen Bäumen umgebenen Lichtung: Eichen, Eschen, Hagedorn, Eberesche und Weiden in der Nähe des Wasserlaufs, der die Götter mit Musik versorgte. Bramble erreichte den Felsen bei Mondaufgang. Der Mond war eine dünne Sichel, im Abnehmen begriffen, und der Abendstern leuchtete am Himmel unterhalb der Mondsichel; es war ein Unglück verhei ßender, aber wunderschöner Mond.
    Sie kniete sich vor den Felsen und spürte, wie die Gegenwart der Götter wie immer dazu führte, dass sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Sie betete nicht und brachte auch keine Opfer dar. Sie war nur gekommen, um eine Frage zu stellen.
    »Wann?«
    Der Wind legte sich. Die Lichtung war erfüllt mit der Gegenwart der Götter; Bramble hatte das Gefühl,
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