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Die Propeller-Insel

Die Propeller-Insel

Titel: Die Propeller-Insel
Autoren: Jules Verne
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auf den Erfolg seines Collegen Yvernes und ohne den Ehrgeiz, das Pult der ersten Violine jemals für sich zu erobern, ist er doch ein vortrefflicher Künstler. Ueber dem Reiseanzug trägt er stets einen weiten Staubmantel.
    Pinchinat – die Bratsche – gewöhnlich »Seine Hoheit« 2 genannt, siebenundzwanzig Jahre alt, der jüngste der Truppe und auch der witzigste, lustigste Patron derselben, einer jener unverbesserlichen Typen, die ihr Leben lang übermüthige Straßenjungen bleiben, mit seinem Kopf, geistvollen, stets aufmerksamen Augen, ins Röthliche spielendem Haar und mit spitz auslaufendem Schnurrbart. Er schnalzt gern mit der Zunge an den weißen, scharfen Zähnen und ist eingefleischter Liebhaber von Kalauern und Calembours, ebenso bereit zum Angriff wie zur Abwehr, das Gehirn voller Schnurren – »eine vollständige Ausstattung«, sagt er – von unverwüstlichem Humor, immer Possen treibend und ohne sich deshalb, weil sie seine Collegen zuweilen in Verlegenheit bringen, ein graues Haar wachsen zu lassen. Darum treffen ihn auch häufig die Vorwürfe und väterlichen Strafpredigten des Führers und Oberhauptes des Quartetts.
    Es giebt hier natürlich auch einen Führer, den Violoncellisten Sebastian Zorn , ein Oberhaupt ebenso durch sein Talent wie durch sein Alter – er zählt bereits zweiundfünfzig Sommer – dieser ist klein, dick und fett, blond, mit reichlichem, den Schläfen mit Herzenshäkchen anliegendem Haar und starrem Schnurrbart, der sich im Gewirr des spitz auslaufenden Backenbartes verliert. Sein Teint spielt ins Backsteinfarbige und seine Augen glänzen durch die Gläser der Brille, die er beim Lesen u. dgl. noch durch eine Lorgnette verschärft. Dabei hat er fleischige, runde Hände, von denen die rechte, der man die Gewohnheit an die wiegenden Bogenbewegungen anmerkt, am Gold-und am kleinen Finger mit großen Ringen geschmückt ist.
    Diese flüchtige Skizze genügt wohl, den Mann und den Künstler zu kennzeichnen. Man hält aber nicht ungestraft vierzig Jahre hindurch einen klingenden Kasten zwischen den Knieen. Das beeinflußt das ganze Leben und modelt den Charakter. Die allermeisten Violoncellspieler sind redselig und auffahrend, haben gern das große Wort und reden über allerlei – übrigens nicht ohne Geist. Ein solches Exemplar ist auch Sebastian Zorn, dem Yvernes, Frascolin und Pinchinat die Leitung ihrer musikalischen Streifzüge willig überlassen haben. Sie lassen ihn reden und nach Gutdünken handeln, denn er versteht sich auf’s Geschäft. An sein etwas befehlerisches Wesen gewöhnt, lachen sie darüber nur, wenn er einmal »über den Steg hinausgreift«, was für einen Streichinstrumentenspieler, wie Pinchinat respectlos bemerkte, sehr bedauerlich ist. Die Zusammenstellung, der Programme, die Leitung der Reisen, die schriftlichen Verhandlungen mit den Impresarios… alle diese vielfachen Arbeiten lagen auf seinen Schultern und gaben ihm vollauf Gelegenheit, sein aggressives Temperament zu bethätigen. Nur um die Einnahmen bekümmerte er sich nicht, ebensowenig wie um die Verwaltung der gemeinschaftlichen Casse, die der Obhut des zweiten Violinisten und in erster Linie haftbaren, des sorgsamen und peinlich ordentlichen Frascolin anvertraut war.
    Das Quartett wäre nun vorgestellt, als stände es am Rande eines Podiums vor unsern Augen. Der Leser kennt die Einzelnen, die zwar nicht sehr originelle, doch mindestens scharf von einander getrennte Typen bilden, und er gestatte freundlichst, diese Erzählung sich abspielen zu lassen, wobei er sehen wird, welche Rolle darin zu spielen die vier Pariser Kinder berufen sind, sie, die nach so reichlich in den Staaten des amerikanischen Bundes geerntetem Beifall jetzt auf dem Wege waren nach… Doch greifen wir nicht voraus, »überstürzen wir den Takt nicht!« würde Seine Hoheit rufen, und fassen wir uns in Geduld.
    Die vier Pariser befanden sich also gegen acht Uhr des Abends auf einer verlassenen Straße – wenn man dem Weg so schmeicheln darf – Nieder-Californiens neben den Trümmern ihres »umgestürzten Wagens«… Musik von Boieldieu, hat Pinchinat gesagt. Wenn Frascolin, Yvernes und er das kleine Abenteuer mit philosophischem Gleichmuth hingenommen hatten und sich sogar mit einigen Scherzreden darüber wegzuhelfen suchten, so liegt es doch auf der Hand, daß wenigstens der Anführer des Quartetts Ursache genug hatte, in hellen »Zorn« zu gerathen. Wir wissen ja, der Violoncellist hat eine leicht kochende Galle und, wie
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