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Die Plastikfresser

Die Plastikfresser

Titel: Die Plastikfresser
Autoren: Kit Pedler und Gerry Davis
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    Lionel Slayter hatte seinen Doktor in Kommunikationstheorie gemacht. Von der Universität von Keele war er als ungewöhnlich begabter Mathematiker ausgezeichnet worden, aber im Studienbericht seines Doktorvaters hatte der Vermerk gestanden: Obgleich seine mathematischen Arbeiten untadelig seien, habe er die bedauernswerte Neigung, über die Grenzen vernünftiger Beweismöglichkeiten hinauszuspekulieren. Nach Abschluß seiner Doktorarbeit hatte Slayter mit Hilfe eines Stipendiums die übliche Reise durch nordamerikanische Institute gemacht und war dann nach England zurückgekehrt, um in den Ausschreibungen der wissenschaftlichen Zeitschriften nach einem Job zu suchen. Seine Amerikareise war ohne besonderen Erfolg verlaufen, abgesehen von einem kleinen Ereignis, das an sich unbedeutend war.
    Auf die Gefahr hin, seine Reisespesen stärker in Anspruch zu nehmen, als ihm zustand, hatte Slayter sich nicht mit einem Taxi, sondern mit dem Hubschrauber vom Kennedy Airport nach Manhattan bringen lassen. Einfach, weil er New York einmal aus der Luft sehen wollte.
    Beim Flug über Brooklyn hatte Slayter auf die verstopften Fahrbahnen im Netzwerk der Straßen unter sich geschaut, und einen Augenblick lang sah er sie als Einheiten in einem System, oder, wie er es später formulierte, als Blutkörperchen in einem Blutgefäß.
    Slayter sah, daß die Bewegungen der leuchtenden farbigen Punkte, während sie voneinander und von den Verkehrssignalen beeinflußt wurden, ein rhythmisches Muster bilden. In seinem Notizbuch versuchte er einfache mathematische Hochrechnungen, und als der Hubschrauber landete, war er von jener gewissen gespannten Erregung befallen, die gewöhnlich die Ankunft einer guten und originellen Idee begleitete.
    Als er wieder in England war und eine lange, bedrückende Stellungsuche hinter sich hatte, die ihn schließlich zu einem Job bei einer Systemforschungsabteilung im Verkehrsministerium führte, versuchte Slayter seine Ideen mit Hilfe von Autobahningenieuren und Elektronikspezialisten auf die Ebene der praktischen Durchführbarkeit zu bringen.
    Slayter fand auch einen Namen für sein Projekt. Er nannte es ›das lernende Straßensystem‹.
    In einfachen Worten war Slayters Idee folgendermaßen: Man nehme ein Straßensystem, fasse es zu einer ›fastbiologischen‹ Einheit zusammen und statte es mit ›Sinnesorganen‹ in Form elektronischer Augen – also Fernsehkameras – und pneumatischer Zählsysteme aus, die auf der Straßenoberfläche angebracht werden. Dann füttere man die Informationen aus den Wahrnehmungen dieser Sinne in ein Computersystem ein, das in der Lage ist, seine Ergebnisse zurückliegenden Erfahrungen oder – wie er es formulierte – ›Lernungen‹ anzupassen. Und schließlich verbinde man die Computerergebnisse mit Verkehrssignalen und Polizisten, die im Netzwerk der Straßen den Verkehrsfluß kontrollieren.
    Das System unterschied sich von anderen, ähnlichen Systemen vor allem dadurch, daß der Computer die Muster des Verkehrsverhaltens von den Straßen, die er unter Kontrolle hatte, ständig ›lernte‹. Auf diese Weise konnte das System den Verkehrsfluß an einem bestimmten Tag, in einer bestimmten Woche, in einem bestimmten Monat, maximieren. Die einzigen Einwände gegen dieses System waren von der Polizei gekommen – und von Atherton.
    Die Polizisten führten Klage – und zwar auf einer, wie es Slayter schien, emotionalen Ebene –, daß sie dann Menschen im Joch einer Maschine wären. Daß die Polizisten dann das Gefühl haben müßten, in ihrem Status als Individuen herabgesetzt zu werden.
    Atherton, der dem Komitee angehörte, das schließlich das System befürwortete, stand der ganzen Idee von Anfang an feindlich gegenüber. Er erklärte, die Grenzen des Systems seien nicht klar genug definiert, und die Leistung des kernenden Computers könne niemals mit ausreichender Genauigkeit vorausgesagt werden.
    Immerhin wurde ein Experiment genehmigt. Es sollte in einem Bezirk von London stattfinden, der im Norden von Knightsbridge, im Süden von der Cromwell Road, im Westen von der Gloucester Road und im Osten von der Sloane Street begrenzt wurde.
    Es hatte vierzehn Monate gedauert, bis die Straßen mit den notwendigen Anlagen ausgerüstet und die Verbindungen zum Computer und zum Kontrollraum in der nahegelegenen Technischen Hochschule geschaffen waren.
    Als Kontrollmaßnahme waren vor der Aufnahme des Experiments genaue Verkehrsschätzungen vorgenommen worden. Nun konnte
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