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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Autoren: Haruki Murakami
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bekommen hatte, musste man auch etwas geben. Nur so entstand eine Verbindung zwischen zwei Menschen.
    »Wie war denn deine Schulzeit?«, fragte Tsukuru Tazaki.
    Sara zuckte mit den Schultern. »Nicht aufregend. Eigentlich sogar ziemlich langweilig. Ich kann dir irgendwann davon erzählen, aber jetzt möchte ich lieber deine Geschichte hören. Was ist aus den fünf Freunden geworden?«
    Tsukuru rollte einige Nüsse in seiner Handfläche herum und steckte ein paar davon in den Mund.
    »Wir hatten uns nicht abgesprochen, aber es gab stillschweigende Vereinbarungen. Eine davon war, dass wir möglichst alles immer zu fünft machten. Wir wollten es vermeiden, dass zum Beispiel nur zwei von uns etwas zusammen machten. Denn sonst, so fürchteten wir, würde unsere Gruppe bald auseinanderfallen. Wir mussten eine nach innen konzentrierte Einheit sein. Wie soll ich sagen, wir versuchten, unsere vollkommen harmonische Gemeinschaft zu erhalten. Nichts sollte diese Harmonie stören.«
    »Eure vollkommen harmonische Gemeinschaft?«
    In der Frage lag echtes Erstaunen.
    Tsukuru errötete ein wenig. »Na ja, Schüler denken sich gern solche komischen Sachen aus.«
    Sara musterte ihn mit leicht geneigtem Kopf. »Ich finde das nicht komisch. Aber welches Ziel hatte denn diese Gemeinschaft?«
    »Wie gesagt, war es anfangs unser Ziel, Kindern zu helfen, die Lernschwierigkeiten hatten. Das war der Ausgangspunkt, und es hatte natürlich weiter große Bedeutung für uns. Aber mit der Zeit wurde wahrscheinlich unsere Gemeinschaft zum Ziel.«
    »Das Ziel war also die Existenz und der Erhalt eurer Gemeinschaft.«
    »Wahrscheinlich.«
    »Sie war euer Universum«, sagte Sara mit zusammengekniffenen Augen.
    »Universum – ich weiß nicht«, sagte Tsukuru. »Aber damals war es uns eben wichtig, die besondere Chemie zwischen uns zu schützen. Wie man eine Streichholzflamme vor dem Wind schützt.«
    »Chemie?«
    »Die Kraft, die zufällig entstanden war. Unter gewissen Umständen, die nicht wiederholbar waren.«
    »Wie der Urknall?«
    »Urknall ist vielleicht etwas übertrieben«, sagte Tsukuru.
    Sara nahm einen Schluck von ihrem Mojito und inspizierte die Form des Minzblatts von allen Seiten.
    »Ich war immer auf privaten Mädchenschulen, also habe ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung, wie es auf gemischten Schulen zugeht. Ich kann es mir auch nicht richtig vorstellen. Ihr fünf habt streng darauf geachtet, dass die Einheit eurer Gruppe nicht gestört wurde. Darum ging es im Grunde doch?«
    »Ich weiß nicht, ob ›streng‹ hier das richtige Wort ist. Das ist vielleicht auch etwas übertrieben. Aber es stimmt, wir haben uns bemüht, zwischengeschlechtliche Beziehungen auszuklammern.«
    »Aber das blieb unausgesprochen?«, sagte Sara.
    Tsukuru nickte. »Wir hatten ja kein Buch mit Verordnungen oder so.«
    »Und wie war das für dich? Hast du dich nicht zu Shiro oder Kuro hingezogen gefühlt, wenn ihr die ganze Zeit zusammen wart? Nach dem, was du erzählst, waren sie doch sehr attraktive Mädchen.«
    »Sie waren wirklich bezaubernd. Jede für sich. Ich würde lügen, wenn ich behaupten wollte, ich hätte mich nicht von ihnen angezogen gefühlt. Aber ich habe versucht, möglichst nicht an sie zu denken.«
    »Möglichst?«
    »Ja, so gut es eben ging«, sagte Tsukuru. Er hatte das Gefühl, wieder ein wenig zu erröten. »Und wenn ich unbedingt an sie denken musste, dachte ich an die beiden als eine Einheit.«
    »Wie das?«
    Tsukuru hielt inne und suchte nach den passenden Worten. »Ich kann es nicht gut erklären. Wie an eine Art fiktive Existenz. Eine Idee ohne festen Körper.«
    »Aha«, sagte Sara beeindruckt. Dann ließ sie sich die Sache einen Moment lang durch den Kopf gehen. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann überlegte sie es sich anders und hielt den Mund fest geschlossen. Erst nach einer Weile sprach sie wieder.
    »Du hast nach dem Abitur Nagoya verlassen und bist nach Tokio auf die Uni gegangen. Stimmt doch, oder?«
    »Ja«, sagte Tsukuru. »Seitdem lebe ich hier.«
    »Was ist aus den anderen vieren geworden? «
    »Sie sind auf dortige Universitäten gegangen. Aka hat Wirtschaftswissenschaften studiert. An der Fakultät seines Vaters. Kuro hat an einer renommierten Frauenuniversität ein Anglistik-Studium absolviert. Als Rugby-As bekam Ao einen Studienplatz an einer bekannten Privat-Uni, auch in Wirtschaftswissenschaften. Shiro haben sie überredet, auf Tiermedizin zu verzichten und an einer Musikhochschule Klavier zu studieren.
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