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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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würden ihm Unkeuschheit und ähnlichen Unsinn vorwerfen, obwohl sie ebenfalls keine Kostverächter waren. Außerdem bezweifelte Gürtler, dass es eine der Huren mit Ilga aufnehmen konnte.
    Er setzte sich entspannt auf den bequemen Stuhl des Hausherrn und studierte weiter die vor ihm liegenden Papiere. Kurz darauf hörte er Laute, die einem unbeteiligten Zuhörer Angst um den Betreffenden hätten einflößen können, und danach war es eine Zeit lang still. Mit einem Mal öffnete sich die Tür und Ilga schlüpfte heraus. Bei Gürtlers Anblick erschrak sie und griff sich ans Herz.
    »Wartet Ihr schon lange hier?«, fragte sie ohne die devote Höflichkeit, die einem dienstbaren Geschöpf wie ihr anstand.
    »Lange genug!« Gürtler grinste und zwinkerte anzüglich, um ihr zu zeigen, dass sie ihm die eine oder andere Münze wert wäre. In den Kreisen, in denen Ilga einen Ehemann finden konnte, achtete man nicht auf das unverletzte Hymen einer Frau, solange ihr Lebenswandel nicht zum Stadtgespräch geworden war und sie auf einen Beutel voller Geld klopfen konnte. Ein großzügiger Kaufherr durfte bei den meisten Mägden inder Stadt auf Entgegenkommen hoffen, doch Ilga warf den Kopf hoch und verließ wortlos das Zimmer.
    Der Kaufherr grinste in sich hinein. Wie es aussah, hoffte die Kleine, sich Otfried Willinger angeln zu können. Sie würde jedoch hart auf dem Boden der Tatsachen landen und eine wohlfeile Ware für viele werden. Vorerst aber interessierten ihn andere Dinge als diese Frau. Er wartete nicht, bis Otfried aus der Geldkammer kam, sondern räusperte sich hörbar.
    Der junge Willinger schoss mit dem Ausdruck höchster Angst aus der Kammer, entspannte sich aber, als er weder seinen Vater noch den für das Haus Willinger zuständigen Pfarrherrn vorfand, sondern seinen Freund Veit Gürtler.
    »Bei Gott, jetzt hättest du mich beinahe erschreckt!«, stieß er anstelle einer Begrüßung heraus.
    »Beinahe?«, spottete Gürtler. »Du hast ausgesehen wie ein Hilfspfarrer, den der Pfarrherr auf seiner eigenen Bettmagd erwischt hat. Bei allen Heiligen, es wird wirklich Zeit, dass du das Heft in die Hand nimmst! Ist dies hier erst einmal dein Haus, kannst du darin tun und lassen, was du willst.« Gürtler machte eine weit ausgreifende Handbewegung, die nicht ganz ohne Absicht bei der Tür der Geldkammer endete.
    »Wird wohl nicht mehr lange dauern, so wie mein Vater aussieht.« Es war nicht zu überhören, dass sich in Otfrieds Augen das Siechtum seines Vaters schon viel zu lange hinzog, und er machte seiner Ungeduld Luft, indem er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. Ein paar Papiere stoben auf und fielen zur Erde.
    Gürtler bückte sich, sammelte sie auf und reichte sie seinem Freund. »Auf diese Blätter solltest du etwas besser achten. Jedes von ihnen ist gut und gerne seine tausend Gulden wert.«
    »Du hast also herumgestöbert.« Es lag kein Vorwurf in Otfrieds Worten.
    »Solche Papiere sollte man nicht herumliegen lassen!«, riet Gürtler ihm.
    »Im Allgemeinen gehe ich sorgfältiger mit den Unterlagen um, aber diese Briefe sind heute erst gekommen und ich muss sie umgehend beantworten«, versuchte Otfried sich herauszureden.
    Sein Freund nickte lächelnd und wies auf eines der Blätter. »Bei diesem hier würde ich auf Vorauskasse bestehen. Semmelmaier in Augsburg ist ein sehr schlechter Zahler. Wenn du auf sein Angebot eingehst, wirst du deinem Geld lange nachlaufen und hinterher froh sein müssen, wenn er wenigstens einen Teil seiner Schuld begleicht. Dein Vater würde dem Mann keine Ware ohne ausreichende Sicherheit liefern!«
    Gürtler bemerkte zufrieden, wie Otfrieds Gesicht sich verzog und rot anlief. »Von all diesen wichtigen Dingen hat der Alte mich bisher ferngehalten! Woher soll ich wissen, wie ich mit unseren Handelspartnern umgehen muss?«
    Die Miene des Gastes, die schon manches Gegenüber getäuscht hatte, zeigte Verständnis und reinstes Wohlwollen. »In mir hast du einen Freund, dem du vertrauen kannst, und als dein Schwager werde ich dir tatkräftig zur Seite stehen.«
    »Wäre es doch schon so weit! Mein Vater sträubt sich mit aller Macht gegen Tillas Heirat mit dir. Stattdessen soll sie diesen Erzlangweiler Damian Laux nehmen.«
    »Das solltest du zu verhindern wissen.« In Gürtlers Worten lag eine deutliche Warnung.
    »Wenn mein Vater wieder auf die Beine kommt, wird mir dies wohl kaum möglich sein.« Otfried hieb erneut auf den Tisch, fing die davonstiebenden Blätter jedoch selbst
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