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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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besitzergreifende Haltung nicht, mit der Veit Gürtler sie durch die Gassen führte. Es schien so, als wolle er aller Welt zeigen, dass er das erste Anrecht auf sie besaß, denner wählte nicht den kürzesten Weg, sondern führte sie an den Häusern etlicher achtbarer Bürger vorbei. Schließlich wurde es ihr zu viel und sie versuchte, seine Hand abzustreifen. In dem Augenblick schlossen sich seine Finger wie eine eiserne Klammer um ihr Handgelenk.
    »Lasst mich los! Ich muss nach Hause zu meinem Vater und kann nicht zu Eurem Vergnügen mit Euch herumflanieren.«
    Auf Gürtlers Gesicht malte sich ein überlegenes Lächeln ab. »Verzeih mir, meine Liebe, aber der kürzeste Weg führt durch die schmutzigen Gassen, und durch die wirst du gewiss nicht gehen wollen. Dort stinkt es zum Himmel, weil die Leute ihren Unrat einfach aus dem Haus werfen, aber nicht den Schinder rufen, der den Dreck aufs freie Feld hinausfährt.«
    Der Mann hatte Recht, jener Teil der Stadt wurde nicht umsonst das schlimme Viertel genannt. Dort lebten arme Leute, die auf Tagelohn gingen und von denen auch einige lange Finger machten, und sie hielten ihre Gassen wirklich nicht besonders sauber. Tilla kannte jedoch Abkürzungen, mit deren Hilfe sie den größten Schmutz umgehen konnte, und hätte längst zu Hause sein können. Nun aber raubte Gürtler ihr ebenfalls einen Teil der Zeit, die sie ihrem Vater hätte widmen sollen. Daher war sie auch um seinetwillen froh, als die Front des väterlichen Anwesens endlich vor ihnen auftauchte.
    Gürtler trat hinter ihr in das Haus, ohne sie loszulassen, und als er den fragenden Ausdruck in ihrem Gesicht sah, blickte er hochmütig auf sie herab. »Ich habe mit deinem Bruder zu reden. Dein Vater dürfte zu krank sein, um mich anhören zu können, doch die Geschäfte müssen weitergehen.«
    Tilla hatte noch nie gehört, dass ihr Vater mit Gürtler Handel trieb, doch da die meisten Kaufherren der Stadt zumindest von Zeit zu Zeit Geschäfte untereinander abschlossen, wundertesie sich nicht allzu sehr. Zu ihrer Erleichterung gab ihr Begleiter sie am Fuß der Treppe frei. Sie schüttelte sich leicht und wies auf die Tür, hinter der das Kontor ihres Vaters lag. »Ihr werdet Otfried wohl dort drinnen finden, Herr Gürtler.« Dann rannte sie die Treppe hinauf, damit der Mann nicht noch einmal nach ihr greifen konnte.
    Gürtler gönnte ihr keinen weiteren Blick, sondern schritt den Korridor entlang, bis er auf eine Eichentür traf, hinter der er das Zentrum der Willinger’schen Geschäfte wusste. Er drückte die Klinke hinunter und fand die Tür unverschlossen. Als er eintrat, streifte sein Blick einen wuchtigen Tisch, auf dem allerlei Papiere lagen, einen großen Stuhl mit einem ledernen Kissen, der für den Herrn des Hauses bestimmt war, und eine kleinere, ungepolsterte Sitzgelegenheit für dessen Gäste. Seine wichtigsten Geschäftspartner empfing Willinger jedoch nicht hier, sondern in seinen Privaträumen. Wer ins Kontor geführt wurde, hielt zumeist wie ein Bittsteller den Hut in der Hand.
    Als Bittsteller fühlte Gürtler sich jedoch nicht. Er schloss die Tür hinter sich, ging zum Tisch und überflog ungeniert die Papiere, die dort ausgebreitet lagen. Dabei machte er sich im Geist Notizen, die ihm zum Vorteil gereichen konnten. Noch während er überlegte, ob er warten sollte, bis Otfried Willinger erschien, oder einen Knecht suchen sollte, der ihm Auskunft über dessen Verbleib geben konnte, vernahm er ein heftiges Keuchen. Es kam aus einem Nebenraum, den man nur durch dieses Zimmer betreten konnte. Neugierig schritt er zur Tür, bückte sich und blickte durchs Schlüsselloch. Als Erstes nahm er Willingers große Geldtruhe wahr, die die halbe Kammer ausfüllte und mehrere tausend Gulden enthalten mochte, und als er sich tiefer bückte, sah er, dass die junge Hausmagd der Willingers, eineFrau namens Ilga, auf dem mit Eisenbändern umschlossenen Kasten lag. Sie hatte ihre Röcke bis zur Taille gerafft und ließ sich von Otfried heftig beackern. Das Stöhnen kam von beiden und verriet dem heimlichen Zuschauer, dass die Magd dem jungen Mann nicht nur aus Gehorsam zu Willen war, sondern die Lust mit ihm teilte.
    Um Gürtlers Lippen spielte ein verständnisvolles Lächeln. Ein Mann brauchte von Zeit zu Zeit einen weichen, nachgiebigen Frauenleib, bei dem er sich beweisen konnte. Als Sohn eines Ratsherrn war es Otfried nicht möglich, sich allzu oft der Huren im städtischen Bordell zu bedienen, denn die Pfaffen
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