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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit
Autoren: Richard Dübell
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außer dem Schnaufen ihres Vaters, mit dem dieser das Mittagsmahl in sich hineinschaufelte. Das Schicksalsrad hatte Johannes Wilt im Gefüge ihrer Heimatstadt Wizinsten nach oben gedreht; es war ein wohlhabender Mann aus ihm geworden, aber obwohl er sich Mühe gab, konnte er seine Herkunft nicht leugnen. Er war nun Patrizier, aber sein Magen war Handwerker geblieben, und so stellte sich bei ihm regelmäßig kurz nach dem Mittagshappen der Appetit ein, den ein Handwerker empfand, der vom frühen Morgengrauen an vor seiner Arbeit saß und keine Zeit hatte, diese für das Terzmahl zu unterbrechen. So kam es, dass regelmäßig um das Nonläuten herum Meister Johannes Wilt Speck, Würste und Brot auf den Tisch packen ließ und dem Terzmahl vom Morgen und dem Happen vom Mittag das an Nahrung hinzufügte, was die jahrelange Gewöhnung seines Verdauungstraktes noch zu benötigen meinte. So war aus dem einstmals dünnen Mann ein Koloss geworden. Eine weitere Gewohnheit, die Johannes Wilt nicht hatte ablegen können: Er stöhnte und schnaufte beim Essen und spachtelte es mit einer Geschwindigkeit in sich hinein, als fürchte er nach den fünf Jahren, die seit seinem Aufstieg vergangen waren, immer noch, jemand könne ihm das Essen wieder wegnehmen. Constantia bekam regelmäßig einen engen Hals, wenn sie das Mahl mit ihren Eltern teilte und den Tröpfchen auswich, die ihr Vater versprühte.
    Vor Dir, Gott, allmächtiger Vater, und vor der seligen Jungfrau Maria, dem heiligen Erzengel Michael, dem heiligen Johannes dem Täufer, den heiligen Aposteln Petrus und Paulus und allen Heiligen, bekenne ich, dass ich gesündigt habe …
    O Gott, wie sollte sie das nur beichten? Fünf Jahre hatte sie es nicht gebeichtet, hatte die Schuld der Verstocktheit und der fehlenden Buße zu ihrer Sünde hinzugeladen, und nun sollte sie das alles bekennen? Sie, die der Pfarrer erst vor kurzem ein leuchtendes Beispiel für die anderen jungen Frauen in Wizinsten genannt hatte in ihrer Befolgung der Gebote? Wenn er sie nicht nach dieser Beichte aus der Kirche trieb, dann würde ein Blitzstrahl Gottes sie von dort hinausschleudern.
    »Mmf«, stöhnte Johannes Wilt, schmatzte, hustete mit vollem Mund und stopfte sich einen weiteren Bissen hinein. »Mmmf!«
    »Es ist so still um diese Tageszeit«, sagte Guda Wiltin, Constantias Mutter. »Das Läuten fehlt einem immer noch.«
    Wie ihr Mann war auch Guda Wiltin irgendwie in der Vergangenheit hängengeblieben. Bei ihr äußerte es sich darin, dass sie manchmal Bemerkungen wie diese einstreute, die sich anhörten, als spräche sie von jüngst vergangenen Dingen. In Wahrheit vermisste sie das Läuten ungefähr seit der Zeit, als Constantia sich angewöhnt hatte, bei der Beichte einen wesentlichen Punkt auszulassen. Das Läuten war das Gebimmel der Klosterglocke gewesen.
    »Mmf!«, sagte Johannes. »Rudeger hat ’n neuen Gerber angeheuert.« Speckstückchen sprühten von seinen Lippen. »Er baut sein Geschäft auf. Das lob ich mir an ’nem Mann, der bald mein Schwiegersohn sein wird.« Er angelte sich eine neue Wurst und beäugte seine Tochter über sie hinweg. »Warst du schon bei der Beichte, Mädel?«
    »Ja … äh … ich wollte warten, bis …«
    »Die Beichte is ’n Sackerment, genauso wie die Ehe«, sagte Johannes und biss von der Wurst ab. »Ohne das Sackerment der Beichte is’ das Sackerment der Ehe mpfgrmpf …!« Irritiert fasste er sich in den Mund und zog einen Knorpel heraus, der in die Wurst eingearbeitet worden war. Er zerquetschte ihn zwischen den Fingerspitzen und legte ihn dann auf den Tisch. »… ’n Scheiß«, sagte er. »Ohne das eine is’ das andre ’n Scheiß. Hat Hochwürden Fridebracht gesagt, und der Mann is’ immerhin unser Pfarrer. So!«
    »Er hat nicht Scheiß gesagt«, erwiderte Guda pikiert.
    »Er hat’s gedacht«, nuschelte Johannes. Ein weiterer Bissen reduzierte die Wurst in seiner Faust auf einen kläglichen Zipfel. Er rülpste markerschütternd und schüttelte sich. »O Mann, das hat beim Weg nach unten besser geschmeckt.«
    »Es fehlt einem einfach, wenn man so dasitzt und alles ist so still«, sagte Guda.
    Dies wäre der Augenblick für Constantia gewesen, um ihren Eltern zu gestehen, dass sie die Beichte, ohne die das Sakrament der Ehe mit ihrem zukünftigen Mann Rudeger einzugehen von vornherein eine Sünde gewesen wäre, nicht ablegen konnte. Was vor fünf Jahren passiert war, hatte sie so tief in ihrem Herzen verschlossen, dass sie es an manchen Tagen
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