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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit
Autoren: Richard Dübell
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entweder belegt, oder die Decken darauf waren zerknüllt und unordentlich aufgeworfen. Bischof Heinrichs Augen folgten einer Klosterschwester, die die Decken auf einem Lager ordnete, misstrauisch beobachtet von einem älteren Mann an ihrer Seite. Als sie das Lager verließ, riss er alles wieder auseinander, betrachtete es und begann dann zu weinen. Ein großer, hagerer Bursche mit glühenden Augen schlurfte an ihnen vorüber und murmelte: »Ich bin so schwach!« Er kreuzte auf geraden Linien durch den Raum wie ein Bischof über das Schachbrett. Ein Dritter hielt sich an einem Besen fest, mit dem er einen winzigen Fleck des ohnehin sauberen Bodens kehrte, den Blick stur nach unten gerichtet. Er bückte sich, rieb mit dem Finger über die gekehrte Stelle, leckte ihn ab, nickte zufrieden und machte sich über den nächsten Quadratzoll her. An einem der Fenster stritten sich eine dicke alte Frau und ein dünner alter Mann.
    »Du bist nicht Kaiser Rotbart«, sagte die dicke Frau. »Das wüsste ich. Kaiser Rotbart ist mein Gemahl. Du bist hässlich. Du bist nicht mein Gemahl.«
    Der Bischof wandte sich mit offen stehendem Mund an Elsbeth. Diese zuckte mit den Schultern. »Tatsächlich sind sie Mann und Frau«, sagte sie. »Es kommt selten vor, aber manchmal erwischt es gleich zwei auf einmal.«
    Ein weiterer Patient stellte sich vor dem Propst auf und gaffte ihn an. Einer seiner Finger steckte bis über das erste Fingerglied in seiner Nase. Er holte den Finger heraus, betrachtete den reichen Aushub und steckte ihn sich in den Mund. Dann gaffte er weiter. Der Propst schluckte trocken und schüttelte sich.
    Der hagere Bursche kam wieder entlang und blieb vor dem Popelesser stehen, der ein Hindernis auf seinem Weg darstellte. »Ich bin so schwach!«, stöhnte er. Der Popelesser wanderte ohne Eile davon. Der hagere Mann schlurfte auf einer perfekten Geraden durch den Saal bis zu einer Wand, machte kehrt und lief in leicht verändertem Winkel weiter, wie ein Ball, der unermüdlich von Hindernissen abprallt und nicht langsamer wird. Bischof Heinrich blinzelte fassungslos.
    »Wenn der ehrwürdige Vater den Raum wieder verlassen …«, begann Elsbeth.
    Der Einzige, der nicht erstarrt das Geschehen betrachtete, war Albert Sneydenwint. Er schritt mit sichtlichem Vergnügen durch den Saal, sah den Menschen ins Gesicht, betrachtete ihr Tun, und als einer ihm einen Stein reichte, verbeugte er sich sogar. Der Patient strahlte und übergab ihm einen weiteren Stein.
    »Sollen wir ihn nicht zurückholen?«, brummte einer der beiden Klosterknechte in Elsbeths Ohr. »Das kann gefährlich werden.«
    »Nur, wenn einer ihm was zu schnupfen gibt«, sagte Elsbeth sarkastisch. Dann fiel ihr wieder ein, weshalb sie alles hätte tun sollen, um den Besuch von diesem Raum hier fernzuhalten, und sie fügte hinzu: »Ja, hol ihn zurück! Schnell!« Ohne abzuwarten, ob der Klosterknecht die widersprüchlichen Anweisungen befolgte, hastete sie los.
    Später dachte sie, dass dieser eine Moment womöglich darüber entschieden hatte, wie der Tag enden sollte. Hätte sie ihn nicht mit der sarkastischen Bemerkung verschwendet, wäre alles anders gekommen.
    Albert Sneydenwint war auf seinem Weg des Lächelns bei dem Mann angekommen, der sich kleinweis mit seinem Besen voranarbeitete. Den Kopf noch immer nach unten gesenkt, sah dieser plötzlich Sneydenwints Füße in seinen schnallen- und ösenbewehrten Stiefeln vor sich und blieb stehen. Als Elsbeth sich in Bewegung setzte, schraubten sich die Blicke des Mannes mit dem Besen langsam an Sneydenwints rundlicher Form in die Höhe, bis er ihm in die Augen sah. Er richtete sich auf. Das Gesicht des Patienten war hager und eingefallen, mit einem zotteligen Bart und zotteligen Haaren, grau wie seine Hautfarbe, grau wie die formlose Tunika, die hier jeder trug. Er kniff ein Auge zu und musterte den Kämmerer.
    Sneydenwint nickte fröhlich. »Ah, hier glänzt aber alles«, verkündete er jovial.
    Der Mann mit dem Besen legte den Kopf schief und kniff probehalber das andere Auge zu.
    Elsbeth war beinahe heran. »Herr Notarius, bitte tretet einen Schritt …«, begann sie. Sie sah aus dem Augenwinkel, wie der Klosterknecht sie überholte.
    Der Mann mit dem Besen leckte sich über den Daumen und verstrich den Schmutz auf Sneydenwints Oberlippe, bis er aussah wie ein schlecht gemalter Schnurrbart. Er hob eine Braue.
    Sneydenwint sagte über die Schulter, ohne sich umzudrehen: »Ach was, der gute Mann ist doch völlig
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