Die Pforten der Ewigkeit
du weißt doch, dass ich nichts dagegen tun kann.« Der Bürgermeister schwieg. Die Stille in der Stube war so schwer, dass Constantia unwillkürlich den Atem anhielt und sich fragte, ob sie entdeckt worden war. »Johannes … du redest mit Rudeger, versprochen? Wer weiß, was sonst passiert …«
»Hmpf!«, machte Constantias Vater. Die beiden Männer unten schwiegen sich erneut an. Constantia erhob sich auf die Knie und schluckte. Der Knoten in ihrem Magen hatte sich noch verdickt. Sie wünschte sich, die Unterhaltung nicht belauscht zu haben. Unter wie vielen Unglückssternen stand ihre bevorstehende Heirat mit Rudeger eigentlich? Und weshalb hatte ihr Vater sich für seine Pläne bezüglich der Zunft in Nuorenberc mit Meffridus Chastelose abgestimmt, obwohl dieser noch nie einen Vertrag für Johannes Wilt aufgesetzt hatte? Befremdet erkannte sie, dass sie sich noch nie darüber Gedanken gemacht hatte, wenn sie jemanden sagen hörte, dass er sich »Meffridus’ Segen« geholt habe oder dass dies und das »Meffridus bestimmt nicht gefallen« würde – und ihr wurde bewusst, dass man dergleichen recht oft in Wizinsten sagen hörte. Der Notar bewohnte ein nicht allzu schmuckes Haus in der Nähe der Stadtmauer und war ein dicklicher, unscheinbarer Mann mit zurückweichendem Haaransatz und Körpergeruch. Wieso mussten sich die Wizinstener seine Erlaubnis zu Dingen holen, mit denen er nichts zu tun hatte? Und was in aller Welt interessierte ihn ihre Heirat? Hatte ihr Vater sich von ihm Geld geliehen, um ihre Mitgift zu bezahlen? Aber Johannes Wilt erzählte mit der Aufdringlichkeit des Neureichen jedem, der es hören wollte, von seinen geschäftlichen Verbindungen. Constantia hätte ihn davon sprechen gehört, allein schon um damit zu prahlen, dass er sich jederzeit Geld leihen konnte wie ein richtig großes Handelshaus.
Plötzlich ertönte ein Knarzen, und ihre Kammer wurde heller. Sie fuhr herum. Die Tür, die ihren Schlafraum mit dem ihrer Eltern im Vorderteil des Obergeschosses verband, hatte sich langsam geöffnet. Jemand hatte Constantia beim Lauschen überrascht! Es konnte nur ihre Mutter sein. O Herr, noch eine Sünde, die zu beichten man sie auffordern würde, abgesehen von dem Donnerwetter, das über sie … Aber dann erkannte sie, dass die Tür sich von allein geöffnet hatte, wie sie es des krummen Balkenwerks wegen manchmal tat. Ihre Mutter stand am Fenster, das auf die Gasse hinausführte und von dem aus man über die Dächer der kleinen Stadt hinwegblicken konnte: vom Neutor im Südosten über die Senke beim Virteburher Tor und zum im Westen aufragenden Galgenberg, der sich im Fischteich spiegelte; vom Rathausturm bis zum Turm der Mauritius-Kirche; und bis zu den beiden Türmen des Klosters, die über das kahle Geäst des verwilderten Klostergartens ragten. Guda hatte ihr den Rücken zugewandt, sie starrte hinaus. Constantia rappelte sich auf und trat in die Schlafkammer ihrer Eltern, bis ihr aufging, dass sie Guda nicht fragen konnte, was die aufgeschnappten Sätze zu bedeuten hatten – dann hätte sie zugeben müssen, dass sie gelauscht hatte.
Guda drehte sich langsam zu ihr um. »Es hat den Tag so schön eingeteilt«, sagte sie.
»Was?«, stieß Constantia hervor.
»Das Läuten zu den Stundengebeten. Wir sind damit aufgestanden, haben das Tagwerk vollbracht und sind damit zu Bett gegangen. Es fehlt einem.«
Constantia schwieg verwirrt, dann zwang sie ihre Gedanken, den Worten ihrer Mutter zu folgen. »Sie werden ihre Gründe gehabt haben zu gehen«, sagte sie. »Es werden irgendwann neue Mönche kommen. Außerdem ist das schon ein paar Jahre her.«
»Es waren allesamt fromme Männer«, erklärte Guda. »So lange sie hier waren, standen wir unter dem Schutz Gottes und der Heiligen.« Plötzlich blickte sie Constantia in die Augen, und ihre nächsten Worte ließen dieser einen Schauer über den Rücken laufen. »Du wirst sehen, sie haben das Glück mit fortgenommen.«
»Mama, das ist das Gerede der verrückten alten Berthrad! Ihre Familie überlegt doch schon seit Jahren, was sie mit ihr tun sollen, weil sie die Kinder ängstigt mit ihren Worten und den Leuten in der Gasse Pferdeäpfel hinterherwirft. Du wirst doch so jemandem nicht zugehört haben!«
Guda schüttelte den Kopf und blickte wieder zum Fenster hinaus. »Die Mönche haben das Glück mit fortgenommen, du wirst schon sehen.«
5.
CASTEL FIORENTINO, APULIEN
Der junge Mann stürzte aus dem Eingangsportal zum
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