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Die Peststadt

Die Peststadt

Titel: Die Peststadt
Autoren: Hans Kneifel
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dachte an ein Bad, an einen langen Schlaf und an Ruhe und Frieden. All das war unmöglich. Krieg und Tod herrschten innerhalb und außerhalb der Mauern, und der Hafen war verloren. Die größte Sorge der Königin galt den heimlichen Verbündeten der Caer in der Stadt.
    »Was denkst du, Dhorkan?« fragte sie ins Dunkel hinter ihr.
    Der junge Mann schluckte einen Fluch hinunter und erwiderte: »Ich denke ununterbrochen nur Böses und Dunkles, Königin.«
    »Sprich alles aus, was du denkst, aber sage es nur zu mir, nicht zu den Stadtleuten.«
    »Keine Sorge«, erwiderte er. »Was wir brauchen, ist tatsächlich ein Wunder. Ich bin Krieger und Soldat, und ich muss erkennen, dass es schlimm um Nyrngor steht. Wir können nicht mehr lange durchhalten. Und das magst du selbst ebensogut wissen wie ich: Es wird kein Wunder geben, und die verfluchten Priester der Caer werden über den Rest der Stadtbevölkerung herrschen, weil wir alle zu Sklaven geworden sind.«
    Ein Hauch magischer Kraft schien die junge Königin zu umwehen. Die Menschen der Stadt schöpften neue Hoffnung, wo sie auftauchte. Sie war alles andere als eine Magierin, aber dadurch, dass sie mit knappen und bestimmten Befehlen Ordnung schuf, Ratschläge erteilte, zu jedermann freundlich und gerecht war und nicht einmal davor zurückschreckte, die Magazine von Schloss Fordmore für die Hungernden zu öffnen, schlug jedes Herz innerhalb der sechseckigen Befestigung für die Erbin des Thrones. Nein! Nicht jedes Herz. Es gab Verräter.
    »Es wird kein Wunder geben«, antwortete sie, als sie zwischen den letzten Häusern auf die freie Fläche hinauskamen, auf der sich mehrere Gassen kreuzten. Im bleichen Licht des Mondes und der wenigen Fackeln und Öllampen ragte direkt vor ihnen die Pestburg auf.
    »Nein«, wiederholte sie. »Kein Wunder, Dhorkan. Hier in der Pestburg liegen die Todkranken und die Sterbenden. Seit ich denken kann, gab es nicht so viel Leid in Nyrngor wie in diesen Tagen. Es ist müßig, zu fragen, warum das Schicksal gerade uns schlägt. Es ist so - und unser Leben ist noch lange nicht vorüber.«
    Dhorkan antwortete dumpf: »Ich glaube, du bist mutiger als wir alle, Königin Elivara!«
    »Hoffentlich müssen wir niemals in Wettstreit treten«, sagte sie scheinbar leichthin.
    *
    Fürst-Richter Carbell hob langsam den großen, silbernen Pokal. Er fühlte tief in seinem Inneren so etwas wie Rauch oder Nebel oder Beklemmung. Verschiedene Stimmen sprachen immer wieder mit ihm, und wenn sie etwas sagten, so bedeutete es für ihn einen Befehl, einen Zwang, dem er nicht entkommen konnte. Er gehörte nicht mehr sich selbst, aber das wusste er nicht.
    Carbell sah in der Oberfläche des dunklen Weines sein Gesicht wie in einem Spiegel. Die schwankende Flüssigkeit verschob und verzerrte die Linien; einen Augenblick lang grinste ihn eine dämonische Fratze an. Verwirrt hob Carbell den Pokal an seine Lippen und trank einen tiefen Schluck.
    »Achtet darauf«, sagte er dann mit schwerer Zunge, »der Königin Elivara darf kein Haar gekrümmt werden!«
    Farst grinste, drehte die Enden seines Bartes und kicherte: »Aerinnen und Feithearn wollen sie lebend. Ich weiß, warum.«
    »Schweig!« grunzte Carbell. »Das geht dich und uns nichts an. Sorgt dafür, dass die Männer der Leibwache unschädlich gemacht werden. Besonders dieser junge Narr Dhorkan.«
    Atoaker spielte mit seinem kurzen Schwert und stieß hervor: »Und welche Garantie haben wir? Die Caer werden uns als Mitwisser betrachten und schneller beseitigen, als wir die Hand aufhalten können.«
    »Das werden sie nicht. Ich sorge dafür«, versicherte der Fürst-Richter ohne rechte Überzeugungskraft.
    »Seit wann verhandelst du mit den Caer?« wollte Shorcar wissen.
    »Es war einige Tage nach dem rätselhaften Tod des Königs und seiner Frau«, sagte Carbell. Sieben Männer saßen auf Stühlen, Hockern und Kisten in seinem Arbeitszimmer um ihn und einen neunflammigen Leuchter herum. Ihre Augen leuchteten wild und gierig, denn auf dem Tisch zwischen ihnen lagen goldene Münzen. Das Glänzen der Goldstücke erinnerte Carbell an etwas, aber er wusste nicht, woran. Alles, was er wusste, wurde ihm von jenem fremden Willen diktiert. »Damals kamen sie zu mir.« Er stöhnte auf und sprach weiter:
    »Sie wird heute nacht noch die Pestburg besuchen. Sie hat es versprochen. Der Platz vor den Hütten und Schuppen ist dunkel. Ihr wisst besser als ich, wie man in der Finsternis kämpft.«
    »Vermutlich, Fürst-Richter«,
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