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Die Peststadt

Die Peststadt

Titel: Die Peststadt
Autoren: Hans Kneifel
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mit bemalten Hörnern und Tierknochen geschmückt waren. Man sah sie von den Mauerkronen aus manchmal zwischen den marschierenden Kriegern hin und her huschen.
    Auf den Ruf der Königin antworteten die Verteidiger, indem sie jubelten und mit den Waffen gegen die Schilde schlugen. Auch an dieser Stelle umgab bereits ein Wall aus schweren Steinen das metallbeschlagene Tor; falls es zerstört wurde, sahen sich die Eindringlinge einer zweiten Mauer gegenüber, in deren Spalten scharf geschliffene Speerspitzen, Dolche und Eisenstäbe gezwängt waren.
    Die Schneide der Streitaxt funkelte in den Flammen unter dem Ölkessel, als Elivara rief: »Bringt mein Gespann, versorgt mein Pferd! Wir müssen zum nächsten Kampfgebiet. Das Schloss steht jedem von euch offen - aber bleibt wachsam!«
    Was in der Stadt noch in genügender Menge vorhanden war, waren Wasser und Wein. Es ging das Gerücht, dass ein Schenkenwirt den Brand des Dachstuhls mit seinem Wein gelöscht habe. Die Leibwächter entzündeten am Feuer einige Fackeln, und zwei Jungen kamen, die Zügel der Rappen in den Händen, auf den Platz gelaufen. Die schmalen Räder des Streitwagens ratterten über das verwüstete Pflaster.
    »Du solltest zurück zum Schloss fahren und dich ausruhen, Königin«, sagte der Anführer, als er von der Leiter neben ihr zu Boden sprang. »Ein paar Stunden Schlaf in Fordmore tun dir gut.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe versprochen, in die Pestburg zu gehen. Die Kranken warten auf mich.«
    »Königin«, keuchte der Anführer, ein hagerer, schwarzhaariger Mann mit unrasiertem, narbigem Gesicht, »du weißt, dass jeder deinen Mut bewundert. Aber der Besuch der Pestburg ist Leichtsinn. Du solltest dein Glück nicht herausfordern.«
    Sie nahm seinen Arm und ließ sich in den Wagenkorb hineinhelfen. Als sie die Zügel packte, hörte er sie unterdrückt antworten: »Mit dem Mord an meinen Eltern wollten die Caer die Stadt zur Kapitulation reif machen. Wo immer ich mich zeige, schöpfen die Nyrngorer neue Kraft und übertreffen sich selbst. Ich habe das Vertrauen dieser Stadt. Mit dem, was du sagst, hast du recht. Aber ich kann nicht anders. Ich muss überall nachsehen und versuchen, die Stadt zu retten. Du kannst mir am besten helfen, indem du mir weiterhin so zur Seite stehst wie bisher.«
    Der Anführer schlug mit der Hand gegen seine Brust und versicherte: »Das werde ich tun. Mit dir gehe ich sogar in die Pestburg!«
    Sie nickte und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. »Zuerst sehen wir nach, wie es um die anderen Tore und die Mauern bestellt ist.«
    »Wir kommen.«
    Immer mehr Fackeln wurden angezündet und über den Köpfen geschwenkt. In kleinen steinernen Nischen der Mauern und der Häuser wurden flackernde Öllampen aufgestellt. Der Kampfwagen ratterte vom Torplatz weg, in eine gekrümmte, aufwärts führende Gasse hinein und unter Erkern und Baikonen in Schlangenlinien wieder abwärts. Einige Männer der Leibwache blieben am Tor zurück, die anderen folgten der Königin.
    Schon als sie sich entlang der Mauer dem weiter östlich gelegenen Landtor näherten, bemerkten sie die Aufregung am Brunnenplatz.
    Die Männer, die in mehr oder weniger gleichmäßigen Abständen auf der Mauerkrone standen und das Land beobachteten, schrien begeistert zur Königin herunter.
    »Seht ihr Gefahren?« rief der Anführer.
    »Bei mir ist alles ruhig«, erklang es von oben herunter.
    »Und bei dir?«
    Auch hundert Schritt weiter östlich schien es keine Angreifer zu geben.
    »Ich sehe niemanden. Nur die Schiffe!«
    So ging es weiter, bis die kleine Truppe den Brunnenplatz erreichte. Dort rannten Menschen wie rasend durcheinander. Viele von ihnen schwenkten Fackeln, und die Königin ergriff, je näher sie kam, mehr und mehr eine dunkle Ahnung. Was sie undeutlich sah, bedeutete nichts Gutes. Der Streitwagen fuhr mitten zwischen die Menge hinein und hielt an.
    Ein immergrüner Baum mit gezackten Blättern stand, wie an vielen Stellen der Stadt, neben dem Brunnen. Es war ein tiefer Brunnenschacht, der seit Menschengedenken kühles, sauberes Wasser lieferte und nicht einmal in Zeiten größter Dürre versiegt war. Mehr als ein Fünftel der Städter wurde von diesem Brunnen versorgt.
    Vor der gemauerten Brunnenumrandung lagen vier Gestalten.
    Zwei von ihnen waren zusammengekrümmt und lagen still da. Die beiden anderen, ein junger Mann und ein Mädchen, wanden sich wimmernd im niedergetrampelten Gras. Auf dem granitenen Abschlussstein stand der
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