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Die Peststadt

Die Peststadt

Titel: Die Peststadt
Autoren: Hans Kneifel
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fünften fest. Er blutete aus einer Unzahl kleiner Wunden. Ein Peitschenhieb hatte sein Gesicht aufgerissen, seine Kleidung war zerfetzt. In den aufgerissenen Augen des Mannes stand nackte Todesfurcht.
    Elivara lenkte ihr Pferd zu der Gruppe und fragte: »Was geht hier vor? Wollt ihr ihn hängen?«
    Ein alter Mann, der noch vor einem Mond im Hafen gearbeitet hatte, nickte. »Er muss hängen. Dieser Tod, bei Fordmore, ist noch viel zu gut für ihn.«
    Die Hände des Delinquenten waren auf dem Rücken gefesselt. Er zitterte vor Angst, aber in ihm schien eine dämonische Macht zu stecken, etwas, das ihn in erbarmungslosem Griff festhielt.
    »Was werft ihr ihm vor?«
    »Königin«, sagte der Sprecher mit fester Stimme, »er wurde von uns allen beobachtet. Draußen wartet ein Trupp Caer. Er wollte ihnen das Tor öffnen. Sieh die Ketten!«
    Die wuchtigen Riegel und Krampen des Tores waren mit Ketten versperrt, deren Glieder handgroß waren. Die ersten Schlingen und Knoten der Ketten waren geöffnet, die Enden hingen bis zum Boden herunter. Es war eindeutig, jemand hatte mit viel Mühe versucht, die Halterungen zu öffnen.
    »Ich sehe die Ketten«, sagte Elivara langsam. »Ich sehe auch, dass Nyrngor beinahe durch die Hand eines Verräters gefallen wäre. Der Alptraumritter wartet auf jede Chance. Wer hat dich angestiftet?«
    Dies war nicht der erste und sicher nicht der letzte Fall von offensichtlichem Verrat. Heute und hier hatte man den Täter gefasst. Der Feind schien innerhalb der Mauern Verbündete zu haben.
    »Ich frage dich noch einmal«, wiederholte die Königin mit schneidender Stimme. »Wer hat dich bezahlt? Was hat man dir versprochen? Warum wolltest du das Tor öffnen?«
    Der Verräter schüttelte den Kopf. Er öffnete die Lippen und wollte ein Wort hervorstoßen, aber die Stimme versagte ihm. Sein Zittern wurde stärker, es riss förmlich seinen Körper aus den Händen der Männer. Auf seiner Zunge erschien weißer Schaum, er verdrehte die Augen und stöhnte. Ein schrilles Wimmern drang aus seiner Kehle, er krächzte etwas Undeutliches und knickte in den Knien ein. Die Männer rissen ihn in die Höhe, aber er war nicht fähig, auch nur ein Wort zu sagen. Es war unheimlich; die Pferde wichen vor dieser gequälten Kreatur zurück, und der Menschen bemächtigte sich ein lähmendes Entsetzen.
    »Knüpft ihn auf, dann werft seinen Leichnam hinunter zu den Caer!« befahl Elivara. »Coerl O'Marn soll sehen, dass wir wachsam sind. Weiter!«
    Die Leibgarde ritt um die Gruppe herum und auf den nächsten Platz zu. Hinter ihnen hallte zwischen den Mauern ein schriller Schrei, der unvermittelt abriss. Als sich die Königin vor der nächsten Ecke umwandte, starrte sie mit brennenden Augen auf den Körper, der sich schaukelnd unter dem Erker in der Schlinge drehte.
    Der Anführer der Wache stieß zwischen den Zähnen hervor: »Wenn die Stadt fällt, Königin, dann durch einen solchen Verrat.«
    »Wir haben nicht genügend Männer, um jeden Winkel und jedes Tor ununterbrochen zu kontrollieren«, sagte sie niedergeschlagen. »Seit Wochen halten wir den Caer stand. Aber niemand schützt uns vor Verrat.«
    »Das ist die Magie der Caer. Sie sind die Stellvertreter des Bösen. Habt ihr einen Schutz, dort im Schloss Fordmore, gegen das Böse aus der Schattenwelt?«
    »Nichts anderes als unseren Glauben daran, dass wir alles durchstehen können.«
    Pest, Brände, Kampf und Verrat wüteten innerhalb der Mauern. Als der Trupp quer über einen kleinen Brunnenplatz ritt, erreichte er das hintere Ende eines Halbkreises von Menschen, die sich vor einem Laden drängten. Es war eine kleine Bäckerei; der Geruch frisch gebackenen Brotes wehte über den Platz. Aber auch in diesen Geruch mischte sich etwas Fremdes. Es war, als habe der Handwerker seinem Teig merkwürdige Substanzen beigefügt.
    Die Königin hob den Arm, einige Leute drehten sich um und grüßten sie schweigend. »Bäcker!« rief sie.
    Hinter den flachen, dampfenden Laiben tauchte der Oberkörper des Bäckers auf. »Königin! Hast du Hunger? Oder deine Wächter?«
    »Wir haben keine Zeit. Was hast du in dein Brot gemischt, dass es so streng riecht?«
    »Ich habe es gestreckt. Kleie. Körner und gemahlene Rinde!«
    Er hob einen Laib hoch, brach ihn auseinander und zeigte Elivara die Bruchfläche. Ein klebriger Streifen verlief durch die Mitte des Backwerks.
    »Komm heute zum Schloss. Wir haben noch einige Säcke Mehl dort. Es sind nicht mehr allzu viele, aber du sollst besseres
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