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Die Peststadt

Die Peststadt

Titel: Die Peststadt
Autoren: Hans Kneifel
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ebenso wie der Hafen schienen verloren zu sein: Hungersnot und Pest plagten Nyrngor und die Dandamaren innerhalb der sechs Mauern.
    Die Gasse verbreiterte sich, als sie in die Hafenstraße überging. Am Ende einer doppelten Baumreihe tauchten die Umrisse des Torbauwerks auf. Dort wurde erbittert gekämpft.
    Die Belagerung dauerte nun schon fast zwei Drittel eines Mondes. König Carnen und Syda, die Königin, waren einem Meuchelmord zum Opfer gefallen. Wie viele der etwa vierzigmal tausend Nyrngorer von der Pest dahingerafft, auf den Mauern oder im Hafen gefallen oder verhungert waren, wusste niemand.
    Aber jeder wusste, dass die neuneinhalbtausend Caer zu den wildesten und gnadenlosesten Kämpfern gehörten, die je ihren Fuß auf das Land von Dandamar gesetzt hatten. Die junge Königin ahnte, dass die Stadt verloren und ihr aller Leben verwirkt war, wenn nicht ein Wunder geschah.
    Sie zügelte ihr Pferd einen halben Speerwurf vor den dicken, eisenbeschlagenen Balken des Hafentors.
    Hinter ihr standen junge Burschen, schwangen die langen Lederschleudern und katapultierten handgroße Steine und Mauerbrocken über die Mauer, hinaus auf die Hafenstraße. Ein Speer tauchte über der Mauerkrone auf und beschrieb pfeifend eine leichte Kurve. Zwei Schritt von Elivara entfernt bohrte sich die Spitze in den Kadaver eines Pferdes.
    Nyrngors Stadtmauer war sechseckig. Wo zwei Mauern aneinanderstießen, erhob sich jeweils ein wuchtiger Turm. Auf etwa halber Strecke zwischen den Türmen befanden sich kleinere und größere Tore. Das wichtigste und breiteste Portal führte auf die Hafenstraße hinaus und wurde am heftigsten von den Caer berannt. Hinter den Zinnen der Mauer standen Bogenschützen und schossen ihre Pfeile schräg nach unten. Immer wieder bebten die Torflügel unter dem wilden Ansturm des Rammbocks. Die dröhnenden Schläge der Ramme ließen die Angeln in den Befestigungen zittern, und ihr durchdringendes Klirren ließ jeden zusammenzucken, der verstand, was es bedeutete.
    Von der Freitreppe eines Hauses und aus einem Gewölbe hatten die Bewohner schwere Quader herausgebrochen. Ächzend, mit Hebeln und Stangen, abgebrochenen Speeren und Stricken zog man die kantigen Steine über Rundhölzer und schichtete sie hinter dem Stadttor auf. Drei Lagen ruhten bereits übereinander; auf einer schiefen Ebene schoben Soldaten, Händler, Seeleute und junge Burschen einen schwarzen Stein hinauf.
    Unablässig schlug die Ramme gegen den Spalt zwischen den
    Torhälften.
    Elivara deutete nach links und nach rechts. Ihre helle Stimme schien den Mut der Städter neu anzufachen. »Auf die Mauern! Werft die Angreifer zurück ins Meer!«
    Sie sprang vom Pferd und rannte die schmale Treppe zum inneren Torturm hinauf. Über der Brüstung lag ein toter Krieger. Ein zerbrochener Speer ragte aus seinem Rücken. Die Königin rannte weiter und zog das kleine Kampfbeil aus dem Gürtel. Hoch über sich sah sie die wuchtige Gestalt Torm Shars, des Stadthauptmanns. Er zerrte einen Stein aus der Brüstung, hob ihn mit beiden Armen hoch über den Kopf und schleuderte ihn schräg hinunter auf die Mannschaft, die den widderköpfigen Rammbock vorwärts wuchtete.
    Torm duckte sich; Pfeile schwirrten um seinen Kopf wie Hagelschauer. Er stieß einen kurzen Fluch aus, als er Elivara die Stufen heraufstürmen sah. Seine Hand im Lederhandschuh streckte sich aus und riss die junge Frau in den Schutz eines Vorsprunges.
    »Ich habe dir verboten«, keuchte er mit seiner rauhen Bassstimme, »dich auf den Mauern blicken zu lassen. O'Marn lauert nur darauf, auch dich umzubringen.«
    Sie bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln. »Wir haben zwei Brände gelöscht. Ich musste den Stadtbewohnern Mut machen. Siehst du? Sie verdoppeln ihren Eifer. Warum die Caer nur mit einer solchen Wut und Zähigkeit angreifen?«
    Um sie herum tobte der Lärm des Kampfes. Inzwischen waren Mannschaften von den nächsten Türmen herbeigeeilt. Ihre Schwerter und Streitäxte blitzten in der Luft und schmetterten die Angreifer von den Sturmleitern. Lange Lanzen schoben sich zwischen die Sprossen und stießen sie zurück.
    »Es ist ihr Ziel, die Stadt zu erobern. Dann können sie mit diesem Brückenkopf von Norden aus in Ugalien eindringen«, entgegnete Torm, bückte sich und riss eine Lanze hoch. Er bog seine Schultern nach hinten, suchte sich ein Ziel und schleuderte die Waffe einem Caer-Anführer in die Brust. Die Männer am Rammbock sprangen in Deckung. »Von dort aus ist der Weg
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