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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd
Autoren: Brigitte Riebe
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fühlte sie sich an manchen Tagen fast wieder jung.
    Nicht einmal das Halsband, ohne das sie nie das Haus verlassen hätte, änderte etwas daran. Inzwischen hatte sie sich so sehr daran gewöhnt, dass es ihr beinahe zur zweiten Haut geworden war. Nur manchmal, wenn sie es vor dem Schlafengehen löste und in die Lade zu den anderen legte, die sich dort im Lauf der Jahre angesammelt hatten, drohte die alte Furcht sie erneut zu überfallen.
    Und jetzt gab es keinen Severin mehr, der diese Furcht in die Flucht hätte schlagen können.
    Johanna würde den Verstorbenen niemals vergessen, dazu war der Glasmaler zu einzigartig gewesen. Ein liebevoller Ehemann, der der Fremden nicht nur seinen ehrlichen Namen geschenkt, sondern auch ihr Geheimnis wie einen Schatz gehütet hatte. Sein qualvolles Sterben, für das es keine Linderung gab, hatte sie im letzten Stadium ganz krank gemacht. Bei allem Schmerz, als er schließlich für immer die Augen schloss, verspürte die Trauernde auch tiefe Erleichterung, dass sein Leid endlich vorüber war.
    Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war das Gewicht der Einsamkeit, das sie wie ein Bleilot traf. Die innere Unruhe, die Johanna schon von früher kannte, setzte ein, nachdem Begräbnis und Leichenschmaus vorüber waren und eine bislang ungewohnte Form von Alltag Einzug in das stattliche Haus in der Mühlengasse halten sollte. Anfangs ließ sich die Unruhe noch halbwegs übertünchen von zahlreichen Entscheidungen, die es zu treffen galt: den Verkauf der Werkstatt an den neuen Meister, die Entlohnung der Gesellen, das Eintreiben unbezahlter Forderungen.
    Als schließlich alles abgewickelt war, staunte sie, wie wenig Bares sie in Händen hielt. Sei es, dass man die Witwe absichtlich übers Ohr gehauen hatte, sei es, dass Severin zu vertrauensvoll gegenüber Zulieferern und Kunden gewesen war, das erwartete Vermögen war jedenfalls zu einem verblüffend übersichtlichen Silberhaufen zusammengeschmolzen, den sie für Notzeiten in einer Geldkatze verwahrte.
    Zum Glück war ihr wenigstens das Haus zur Lilie geblieben, wie alle in Köln es wegen der aufgemalten Blüte an der Frontseite nannten, mit dem stattlichen Giebel, vor allem jedoch dem geräumigen Kellergewölbe, in dem sie den Weinhandel fortsetzen konnte, den Severin vor einigen Jahren als Zubrot begonnen hatte. Damals hatte sie ihn noch geneckt wegen seiner Bemühungen, für alle Fälle vorzusorgen.
    » Die Zukunft gehört uns nicht«, hatte sie gesagt. » Das hab ich am eigenen Leib erfahren müssen. Keiner weiß, was das Schicksal ihm bestimmt hat. Warum kümmerst du dich nicht lieber um deine Glasbilder, anstatt dich mit sperrigen Fudern und undichten Schläuchen herumzuplagen?«
    » Weil die Kölner immer Wein trinken werden«, hatte seine trockene Antwort gelautet. » In guten Zeiten zum Feiern, in bösen zum Trost, während sie am Glas zu sparen beginnen, sobald es eng wird. Außerdem hab ich gute zehn Jahre mehr als du auf dem Buckel. Muss ich also vor dir gehen, so bleibt dir etwas, was niemand dir nehmen kann. Ebenso wie das Haus, das du nach meinem Ableben testamentarisch in den Schreinsbüchern umschreiben lässt.« Sein Blick war plötzlich ernst geworden. » Du hast das Schriftstück doch an einem sicheren Ort aufbewahrt?«
    » Hab ich. Genauso wie du es mir empfohlen hast. Aber du darfst nicht sterben, Severin«, hatte sie protestiert. » Noch viele, viele Jahre nicht, das musst du mir bei der heiligen Ursula versprechen!«
    » Hast du nicht eben selbst gesagt, dass keiner weiß, was ihn erwartet? Aber ich will ja leben, meine Schöne, leben mit dir – und gut sollen wir es dabei haben, wie im Paradies. An meiner Seite wirst du dich niemals sorgen müssen. Das hab ich dir damals in Freiburg versprochen, als du dich mir anvertraut hast, und das werde ich halten, bis über den Tod hinaus!« Sein Kuss hatte ihre Lippen verschlossen und weitere Einwände damit verhindert.
    Warum kam ihr ausgerechnet jetzt diese Szene wieder in den Sinn? Den ganzen Morgen über hatte sie schon an Severin denken müssen. Innerlich bewegt, wäre Johanna beinahe der Korb aus der Hand geglitten, in den die dicke Händlerin am Fischmarkt den Salm gelegt hatte. Sie hatte ihn für Sabeth gekauft, weil die alte Dienerin so große Freude am Essen entwickelte, seitdem ihr Gedächtnis von Monat zu Monat immer löchriger wurde. Gedämpfter Lachs gehörte zu ihren Lieblingsspeisen. Kaum drang der verheißungsvolle Geruch in ihre Nase, wurden Sabeths
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