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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd
Autoren: Brigitte Riebe
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keineswegs vorhatte, ihre Grundsätze zu verraten, sondern sie im schlimmsten Fall mit in den Tod nehmen würde?
    Stattdessen blieb sie stumm und tastete nach den restlichen Münzen in ihrer Rocktasche. Sollte sie der Roten noch mehr Geld anbieten? Sie verwarf den Einfall im nächsten Augenblick. Das Geld würde sie bitter nötig haben, wollte sie nicht in der Gosse landen. Zudem konnte sie es sich nicht leisten, dass die Rote misstrauisch wurde. Sie vertraute ihr nicht, hatte ihr niemals vertraut – und doch blieb ihr keine andere Wahl.
    Das Stechen in ihren Gliedern wuchs sich immer mehr zu einem scharfen Brennen aus. Sie musste zusehen, dass sie das Haus am Rand der Stadt erreichte, wo ihresgleichen die letzte Zuflucht finden konnten.
    » Ich schaue noch einmal nach ihm«, sagte sie leise.
    » Dann pass bloß auf, dass er nicht wach wird, sonst geht das Geflenne wieder los. Und ich hab jetzt keine Zeit, ihn stundenlang zu trösten.« Die Rote bückte sich nach dem Huhn, zog einen Stuhl heran und begann es zu rupfen.
    Leise öffnete sie die Tür.
    Im Schlaf ähnelte er seinem Vater noch mehr als sonst. Als ob eine unsichtbare Hand die Weichheit der Kinderzüge verwischt hätte, um schon jetzt heraufzubeschwören, wie er später einmal aussehen würde. Die hohe Stirn, in die verschwitzte dunkle Locken fielen. Die Nase, gerade und kühn, die vollen Lippen, die ebenso schmelzend lächeln konnten, wie sich im nächsten Augenblick mürrisch verziehen, sollte etwas nicht nach seinem Willen gehen. Er war ein kleiner Kämpfer, einer, der sich nichts gefallen ließ, obwohl er ihr gerade erst bis zur Hüfte reichte. Vielleicht war er schon so geboren, vielleicht aber hatte ihn erst das harte Leben, das sie ihm zumuten musste, dazu gemacht.
    Jakob war alles, was sie hatte. Ihr Schatz. Ihr Leben.
    Die Vorstellung, ihn ausgerechnet hier zurücklassen zu müssen, ließ ihr Herz schwer vor Kummer werden.
    Die Kammer war eng und ungelüftet, das Stroh zu selten gewechselt worden. Ohnehin hatte sie zu lang gezögert, in der aberwitzigen Hoffnung, das Unausweichliche doch noch abwenden zu können. Vielleicht würden sie beide ja verschont werden. Vielleicht flog der Todesengel an ihnen vorbei, ohne sie mit seinen schwarzen Schwingen zu berühren. Vielleicht war das Schicksal ihnen gnädig und ausgerechnet sie würden ungeschoren davonkommen …
    Doch seit ein paar quälenden Stunden wusste sie, dass alle Gebete vergebens gewesen waren. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, den letzten, den sie sich erlauben durfte.
    Er lag auf dem Rücken, die Hände zu Fäusten geballt, als müsste er sich sogar im Traum unsichtbarer Gegner erwehren. Vielleicht würde er schon bald ganz allein auf der Welt sein und gegen alle Feinde ohne ihre Hilfe bestehen müssen.
    Ein Schluchzen stieg in ihr auf, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, nicht zu weinen. Ein schmerzlicher Laut kam aus ihrer Kehle.
    » Mama«, sagte Jakob, schlug die Augen auf und sah sie munter an, als hätte er nur auf sie gewartet. » Da bist du ja endlich! Aber warum weinst du denn?«
    Seine Ärmchen streckten sich ihr entgegen, wie sie es tausendmal zuvor getan hatten, sie aber drehte sich auf dem Absatz um und stürzte wortlos aus der Kammer. Vorbei an der Roten mit dem toten Huhn auf dem Schoß, die schmale Treppe hinunter, hinaus aus dem Haus, wo die beißende Kälte der sternenklaren Februarnacht sie empfing.
    In ihren Ohren dröhnte noch immer sein Schrei, den sie niemals mehr vergessen würde.

Erstes Buch
    Die Taube

EINS
    KÖLN 1540
    S ie hörte das Pfeifen des jungen Zimmermanns, der den Balken sinken ließ und ihr hinterherstarrte, und sie begann zu lächeln. Dass die Männer ihr nachschauten, daran war Johanna gewohnt. Angefangen hatte es in jenem Sommer, als ihre Brüste sprossen und der Oheim es so auffällig eilig gehabt hatte, die bucklige Gewandschneiderin ins Haus zu bestellen, um seinem Mündel gleich drei Kleider auf einmal nähen zu lassen. Die begehrlichen Blicke waren trotzdem nicht weniger geworden – ganz im Gegenteil.
    Damals wie heute ruhten sie wohlgefällig auf der schlanken, hochgewachsenen Gestalt, wenngleich Johannas zum Zopf geflochtene Haare nach dem Abscheren nicht mehr flachsblond, sondern in einem dunkleren Honigton nachgewachsen waren. Die Zeit war gnädig mit ihr umgegangen, hatte ihre Haut bis auf ein paar Fältchen um die Augen glatt gelassen und die Lippen rosig. Seit sie vor einigen Wochen das düstere Witwenschwarz abgelegt hatte,
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