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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd
Autoren: Brigitte Riebe
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eine Chance, die allerdings nur bestand, wenn die Pestbeulen innerhalb von 7 Tagen aufgingen (oder kunstgerecht geöffnet wurden) und dann abheilten.
    Diese Chance war den Menschen, die an der Septischen Pest litten, verwehrt. Sie starben, noch bevor sich die verräterischen Beulen zeigten, innerhalb von 1 bis 2 Tagen – alle. Und noch etwas Verheerendes kam dazu: Sie konnten die Krankheit über den normalen Menschenfloh Pulex irritans auf andere Menschen übertragen.
    Ebenso hoffnungslos war für die Betroffenen die Lungenpest (Noch heute sagt man, wenn jemand niest: » Gesundheit« – das stammt aus jenen dunklen Zeiten). Diese entstand durch die unglückliche Verquickung von Lungenentzündung und Beulenpest, übertragen durch Tröpfcheninfektion. Der Tod trat in der Regel binnen dreier Tage ein – auch ohne äußere Kennzeichen.
    Pest als Dauerzustand
    Die Pest in all ihren unterschiedlichen Formen war kein einmaliges Menetekel wie eine Sturmflut oder ein Erdbeben, sondern ein Dauerzustand, der Europa 300 Jahre in Atem hielt, bis sie schließlich nachließ und – bei uns – ganz verschwand. Man kann sich ihr Auftreffen auf die übervölkerten Städte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit nicht grausam genug vorstellen. Erklärte man sie 1348 vor allem als Folge einer verheerenden astrologischen Konstellation, so sah man später in ihr eine Strafe Gottes, der seine sündigen Kinder mit dieser Geißel züchtigen wollte.
    War sie mit Buße, Sühne und Selbstkasteiung abzuwenden? Das tägliche Sterben in den Häusern und auf den Straßen sagte das Gegenteil.
    War sie dann vielleicht gar keine Gottesstrafe, sondern übles, gemeines, hinterlistiges Menschenwerk? Und wenn ja, wer war daran schuld?
    Betrachtete man 1348 noch die Juden als Verursacher, die aus kultischen Gründen ihr Wasser stets aus Flüssen geschöpft hatten ( » Brunnenvergifter«), und verfolgte und tötete sie mit kirchlich geschürtem Hass, so mussten später andere Randgruppen der Gesellschaft als Übeltäter herhalten. Anfängliche, klar definierte Prozesse gegen die » Pestbereiter«, die nach landläufiger Meinung nachts umhergingen und die Türklinken mit » pestbringender« Salbe (was auch immer man sich darunter vorzustellen hatte) beschmierten, gingen nahtlos über in die Hexenprozesse, die sich als eine Art » Nebenepidemie« der Pest überall in Europa ausbreiteten, Pogrome von » unten«, die zu einer Zeit einsetzten, als es den modernen Staat noch gar nicht gab, und die zur Vernichtung des anderen, des Nachbarn, ja sogar eines Familienmitglieds führen konnten.
    Pest und Religion – oder die Geburt des Protestantismus
    Priester und Mönche gehörten zu den zahlreichsten und frühesten Opfern der Pest, falls sie es nicht vorzogen zu fliehen, die ihnen anvertraute Herde in der Stunde der Not alleinzulassen und damit auf Dauer dem Verhältnis zwischen Kirchen und Gläubigen schweren, nie wiedergutzumachenden Schaden zuzufügen. Die Kirche erlitt durch die Pest doppelten Verlust: Einerseits verlor sie ihre besten Leute, solche, die ausgeharrt hatten und den Verängstigten beistanden, denn gegen die Pest gab es damals nur ein Mittel – weglaufen. Wer blieb, nahm ein ungleich höheres Risiko auf sich als der, der sich egoistisch davonmachte. Genau zu der Zeit, als Risse in der katholischen Kirche auftauchten, verlor sie durch die Pest ihre überzeugendsten Vertreter vor Ort. Andererseits konnte die Kirche es nicht wagen, die Priester, Nonnen und Mönche aus den pestgefährdeten Bezirken abzuziehen.
    Das einfache Volk, dem Mittel und Wege fehlten, sich in Sicherheit zu bringen, sah der Flucht der weltlichen Reichen schon zornerfüllt genug zu und brachte keinerlei Verständnis dafür auf, dass jetzt auch noch geweihte Gottesleute es im Stich ließen. Und wenn Priester und Ordensleute genau wie andere erkrankten und starben, hieß das dann nicht, dass die Kirche in all ihren Gliedern ebenso sündig sein musste wie all die anderen Menschen?
    Die Unfähigkeit der Kirche, der Pest ihre übernatürliche, » gottgewollte« Bedeutung zu nehmen, die Unfähigkeit, auf die realen Ängste der Menschen einzugehen, schadete ihr und ihrem Ansehen mehr als alle gelehrte Kritik in den vorangegangenen Jahrhunderten. Die Starrsinnigkeit und der Bürokratismus, mit dem die Kirche Glaubensdinge verwaltete, aber nicht behandelte, trieb Gegner aus den verschiedensten Lagern zusammen: gebildete Theologen und ihre Schüler, Anhänger der neuen
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