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Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Autoren: Alison Croggon
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zum Zenit hin fast zu einem Weiß verblasst war. Schließlich wischte er sich sorgsam die Hände an der Hose ab, zog etwas aus der Tasche und glättete es auf seinem Bein. Es war ein Brief, verfasst auf Pergament mit zittriger Schrift. Hem konnte ihn nicht entziffern, aber Saliman, sein Vormund, hatte ihm die Zeilen an jenem Vormittag vorgelesen und ihm den Brief anschließend, als er den Ausdruck auf Hems Gesicht sah, als Andenken gegeben.
     
An Hem und Saliman, seid mir gegrüßt!, stand in dem Schreiben.
    Cadvan und ich sind wohlbehalten in Thorold eingetroffen, wie ihr vielleicht wisst, falls der Vogel euch erreicht hat. Es geht uns beiden viel besser als damals, als wir uns zuletzt gesehen haben. Auf dem Weg hierher war ich sehr seekrank, und Cadvan und ich mussten gegen einen Ondril kämpfen, der sehr groß war, aber wir sind hier sicher angelangt. Nerilihat uns Unterschlupf gewährt, und den Rest der Neuigkeiten werdet ihr ja von dem Gesandten gehört haben. Ich hoffe, dass auch ihr Turbansk wohlbehalten erreicht habt und Hem die Früchte so groß findet, wie die Vögel sie beschrieben haben. Ich denke die ganze Zeit an euch und vermisse euch sehr.
    Mit all der Liebe in meinem Herzen, Maerad.
     
    Sie wurden bereits von Ungeheuern gejagt. Hem wusste, dass ein Ondril eine Art Riesenschlange war, die im Meer lebte. Cadvan war vermutlich sogar tapferer als Saliman, und Maerad (zumindest in Hems Augen eines Zwölfjährigen) noch tapferer; aber sie waren nur zu zweit, während die Finsternis so viele Schergen hatte, obendrein überall. Und wo lag Thorold überhaupt? Irgendwo jenseits des Meeres, hatte Saliman ihmerklärt und ihm einen Schemen auf einer Karte gezeigt; doch Hem hatte das Meer noch nie gesehen und bestenfalls ansatzweise Vorstellungen von Entfernungen auf einer Landkarte. Es sagte ihm nichts.
    Hem starrte auf den Brief, als könnte die schiere Eindringlichkeit seines Blickes dessen Bedeutung enträtseln, doch alles, was er bewirkte, war, dass die Seite vor seinen Augen verschwamm. Das einzige Wort, das er zu erkennen vermochte, war »Maerad«. Was mochte Maerad alles nicht geschrieben haben? Welchen anderen Gefahren musste sie sich stellen? Der Brief war bereits mehrere Tage alt; lebte sie überhaupt noch? Urplötzlich, als hätte der Brief ihn verbrannt, zerknüllte Hem ihn und steckte ihn zurück in die Tasche. Ungebeten erfüllte die Erinnerung an seine erste Begegnung mit Maerad seinen Geist. Damals hatte sie sein winziges Versteck unter dem Bett in einem Pilanel-Wagen geöffnet, und er hatte entsetzt in der Erwartung aufgeschaut, ein Messer herabstoßen zu sehen, das ihn in Stücke hacken würde; stattdessen hatte er in die erstaunten Augenseiner eigenen Schwester gestarrt. Nur hatte er es zu jenem Zeitpunkt noch nicht gewusst. Das hatte er erst später erfahren … Er erinnerte sich an Maerad, wie er sie zuletzt in Norloch am Eingang von Nelacs Haus stehen gesehen hatte, als er und Saliman losritten. Ihr Gesicht war bleich vor Sorge und Erschöpfung gewesen, der Wind hatte ihr das schwarze Haar um den Kopf gewirbelt. Hem biss sich auf die Lippe, so heftig, dass sie beinah blutete. Er war kein Junge, der zum Weinen neigte, doch in seiner Brust loderte heißer Kummer. Er vermisste Maerad mehr als er zugeben konnte, sogar sich selbst gegenüber.
    Maerad war der einzige Mensch auf der Welt, bei dem er sich zu Hause fühlte. In der kurzen Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, waren seine Albträume zum ersten Mal in seinem Leben ausgeblieben. Noch bevor sie gewusst hatte, dass er ihr Bruder war, hatte sie ihn in die Arme genommen und sein Gesicht gestreichelt, wenn die schlimmen Träume einsetzten. Selbst jetzt schien es noch erstaunlich: Hem hätte jeden anderen, der sich solche Freiheiten herausgenommen hätte, mit der geballten Faust geschlagen. Maerad hingegen hatte er von Anfang an vertraut: Er hatte ihre Sanftmütigkeit und darunter ihre Einsamkeit und Traurigkeit gespürt. Doch mehr als alles andere wog, dass Maerad ihn so nahm, wie er war, und gar nicht wollte, dass er anders wäre. Maerad, dachte er unter Qualen, liebte ihn. Nun befand sich Maerad so weit entfernt, dass es sie ebenso gut gar nicht hätte geben können. Fast zwei Monate lag es zurück, dass er sie zuletzt gesehen hatte, und sie konnte sich mittlerweile überall in Edil-Amarandh aufhalten. Und hier redeten alle nur über den Krieg. Wie ein fetter, widerwärtiger Wurm kroch er sich in jede Unterhaltung. Er konnte Maerad
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