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Die Patin

Titel: Die Patin
Autoren: Kerstin Gier
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»Fellatio« und »a tergo« um sich zu schmeißen, ständig erzählten sie mir intime Dinge aus ihrem Leben, die ich überhaupt nicht wissen wollte. Im Gegenzug wollten sie dann Antworten auf Fragen wie »Kannst du in jeder Stellung einen Orgasmus bekommen?« oder »Was findest du besser: beschnitten oder unbeschnitten?«. Wenn ich keine Antwort gab, hieß es sofort, ich sei verklemmt. Vielleichtstimmte das ja. Einen Vibrator zum Beispiel hatte ich noch nie in meinem Leben in der Hand gehabt. Ich kannte das Ding nur aus Katalogen, wo eine Frau es sich unerklärlicherweise an die Schulter hielt und dabei glücklich lächelte. Aber wenn ich das Anne und Mimi verriete, würden sie mir einen Vibrator zum nächsten Geburtstag schenken und mich ständig darüber ausfragen.
    »Wartet mal, das ist jetzt ... - also, ich glaube, das war im Oktober«, sagte ich. »Einen Tag, bevor Lorenz die Scheidung wollte. Warum fragt ihr immer so blöd?«
    »Weil wir jetzt Juni haben«, sagte Mimi. »Kein Mensch kann so lange ohne Sex leben.«
    »Na ja, leben kann man schon ohne«, sagte Anne und popelte ein bisschen an ihren Fingernägeln herum. »Also, ich habe das letzte Mal mit meinem Mann geschlafen, das war, lass mich überlegen, tja, ich glaube, das war, als ich schwanger wurde.«
    »Oh!« Mimi richtete sich ruckartig auf »Warum hast du uns denn nichts davon gesagt? Das ist ja wunderbar!«
    Anne sah sie verständnislos an. »Was ist denn daran wunderbar?«
    »Das mit der Schwangerschaft«, sagte Mimi. »Ich freu mich ja so!«
    »Welche Schwangerschaft?«
    Mimi schnaubte ungeduldig. »Du hast doch gerade gesagt, dass du bei deinem letzten Mal schwanger geworden bist!«
    »Ja, mit Jasper«, sagte Anne. »Du Schaf«
    Ich lachte so laut auf, dass meine Antifaltenmaske in kleinen Bröckchen durch das Zimmer flog, während Mimi sich wieder auf das Bett plumpsen ließ. Jasper war Julius' bester Freund und wurde in diesem Herbst fünf Jahre alt.
    Mimi warf eine Puderdose nach Anne. »Du willst mir allen Ernstes erzählen, dass dein Mann und du seit über fünf Jahren enthaltsam lebt?«
    »Aber nein«, sagte Anne.
    »Ich dachte schon«, sagte Mimi, die - wenn die Berichte zutrafen- täglich mit ihrem Mann Ronnie das Kamasutra von vorne bis hinten durchturnte.
    »Nur ich lebe enthaltsam, mein Mann vögelt seine Sekretärinnen«, sagte Anne.
    Mimi und ich waren gleichermaßen schockiert, ich wegen der Wortwahl, Mimi wegen der Tatsache, dass Annes Mann sie betrog. Mir war das bereits bekannt gewesen. Annes Mann war mir, obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte, zutiefst unsympathisch, allein aus Annes Erzählungen. Er betrog Anne nicht nur, er beteiligte sich auch in keiner Weise an der Hausarbeit. Jahrelang hatte er sich gegen die Anschaffung eines Wäschetrockners gesträubt, gab aber jedes Jahr ein Vermögen für seine Motorräder aus. Und er war nicht mal besonders nett zu den Kindern. Aus irgendeinem Grund blieb Anne aber trotzdem bei ihm. Obwohl er zu allem Überfluss auch noch Hansjürgen hieß, ohne Bindestrich.
    Anne lächelte Mimi beruhigend an. »Mir geht es gut«, versicherte sie. »Du glaubst ja gar nicht, wie viele Frauen mit einem noch viel übleren Sack verheiratet sind. Ich sehe das täglich in meinem Job.« Anne war Hebamme. Ich liebte die Geschichten, die sie uns von all ihren schwangeren und frisch entbundenen Patientinnen erzählte. Am liebsten hatte ich die von den Hausgeburten, bei denen die ganze Familie einschließlich der Schwiegereltern und der Haustiere bei der Geburt dabei sein durften und beim Abbrennen von Duftkerzen »We shall overcome« gesungen wurde. »Du und Ronnie, ihr beide seid die ganz große Ausnahme. Ich habe jedes Mal Tränen in den Augen, wenn ich euch beide anschaue. Die wahre Liebe. Ihr habt mir den Glauben daran zurückgegeben. Ihr und Titanic und Rosamunde Pilcher.«
    Mimi schluckte. »Sagtest du Sekretär innen ?« Mehrzahl?«
    »Ja, aber nicht alle auf einmal. Er wechselt alle paar Monate.«
    »Ist er denn - ähm - sexsüchtig, oder so?«
    Anne zuckte mit den Schultern. »Nein, er ist einfach ein Arschloch«, sagte sie. »Er sagt, es ist meine Schuld. Männer gingen nurfremd, wenn ihnen etwas fehlt, und Hansjürgen sagt, mir fehlt es an echter Weiblichkeit und Herzenswärme. Wahrscheinlich hat er sogar Recht. Ich bleib ja nur bei ihm wegen des Ehevertrages. Meine Kinder und ich müssten im Fall einer Trennung das Haus verlassen, und von meinem Gehalt kann ich mir nur eine Wohnung leisten, ohne
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