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Die Patchwork-Luege

Titel: Die Patchwork-Luege
Autoren: Melanie Muehl
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streiten. Wäre nicht ab und an von ihrem Exmann, dem leiblichen Vater der Kinder, die Rede, man könnte glauben, Angi sei Witwe.
    Das ist der Unterschied zu heutigen Serien, die das Patchworkmodell mit Hilfe einer möglichst chaotischen Inszenierung ausstellen und ins Komische verdrehen.
    Einige Jahre, bevor Ich heirate eine Familie im Fernsehen lief, zeigten deutsche Kinos den vielleicht berühmtestenScheidungsfall der Filmgeschichte. Dieser Erfolg wäre heute nicht mehr denkbar, denn es geht um die Geschichte vor dem Patchworkdasein: um ein Familiendrama. Eine Frau verlässt Mann und Kind, sie will sich verwirklichen, aus der Mutterrolle ausbrechen. Eines Tages kehrt sie zurück, zu ihrem Sohn, nicht zu ihrem Mann. Sie will beides: Kind und Karriere. Der Oscar-gekrönte Film Kramer gegen Kramer mit Meryl Streep und Dustin Hoffman in den Hauptrollen spielte Ende der Siebziger, und sein Unglück schien unendlich weit weg vom eigenen Alltag. Man kannte höchstens jemanden, der jemanden kannte, dessen Familie zerbrochen war, was nicht gleich heißen musste, dass sich die Liebe in Hass gewandelt hatte und die Eltern erbittert um das Sorgerecht für das Kind kämpften. Was wir sahen, hatte nichts mit uns zu tun. Das war ein entscheidender Grund für den Erfolg des Films.
    Seit es das Fernsehen gibt, gibt es auch Familienserien. Sie nahmen natürlich nie in Anspruch, die Realität abzubilden, die Drehbücher bewegten sich mal dichter, mal weniger dicht an ihr entlang, aber es fällt auf, dass seit Ende der sechziger Jahre beinahe ausschließlich die traditionelle Familie von Tragödien heimgesucht wird. Die Unverbesserlichen , die Mitte der sechziger und Anfang der siebziger Jahre liefen, waren so eine Familie. Jeder brüllte jeden an, jeder hatte Geldsorgen, jeder Geheimnisse. Feinde standen hier einander gegenüber, nicht Verbündete beieinander. Die Familie, so eine Studie des Grimme- Instituts, sei nicht mehr der Ort des Rückzugs aus der Gesellschaft, der emotional besetzte Hort der Glückseligkeit,sondern eine Funktionsgemeinschaft, in der man nebeneinander herlebt. Am Ende jeder Folge blieb wenig mehr als Resignation. Was wie die mediale Kapitulation der klassischen Familie wirkte, war in Wahrheit ihr Gegenteil. Serien wie Die Unverbesserlichen hatten einen »doppelten Boden«, so der Medienwissenschaftler Knut Hickethier. Hinter dem Familienelend verberge sich das Ideal der klassischen Familie, die allen Widrigkeiten zum Trotz irgendwie versuche, nicht auseinanderzubrechen und an ihrer Gemeinschaft festzuhalten.
    Die Soaps der neunziger und 2000er Jahre haben die klassische Kleinfamilie endgültig aus ihrer Dramaturgie gestrichen. Die Serienprotagonisten sind ledig, geschieden, verwitwet, sie leben in einer lockeren Partnerschaft, in der Seitensprünge häufiger vorkommen, in Stieffamilien, Wohngemeinschaften und Living-together-apart- Konstellationen. In der Serie GZSZ gibt es keine einzige »Normalfamilie«. Wer im Fernsehen eine »Normalfamilie« sucht, findet sie als Karikatur: bei den Simpsons .
    Mittlerweile ist die klassische Familie in allen Variationen durcherzählt. Die Patchworkfamilie ist für Autoren also ein dramaturgischer Glücksfall. Auch für Zuschauer könnte sie das sein, weil sie eine Unmenge an Konstellationen erlaubt, schicksalhafte und heitere.
    Die Autoren schreiben aber nur heitere Drehbücher wie Türkisch für Anfänger . Amazon verkauft den »preisgekrönten Multikultispaß der Patchworkfamilie Schneider-Öztürk komplett in einer Box«. Bora Dagtekin hat ins Zentrum seiner Geschichte die sechzehn Jahre alte Lenagestellt, deren Mutter sich in den türkischen Kriminalkommissar Metin verliebt. Lena muss von diesem Moment an nicht nur die Aufmerksamkeit und Liebe ihrer Mutter mit einem Fremden teilen, sie muss auch dessen Kinder ertragen, ihre neuen Geschwister. »Chaotisch« und »turbulent« sind Wörter, die im Zusammenhang mit der Serie oft fallen. Bettina Reitz hat sie für die ARD produziert und in einem Interview gesagt: »Wichtig ist, dass wir ein zeitgemäßes Familienleben widerspiegeln wollen. Die Serie geht humorvoll mit kulturellen Unterschieden um, arbeitet dabei bewusst mit Vorurteilen und ist im besten Sinne eine freche Comedy (…).«
    Mitten im Leben ist auch so eine freche Comedy, sie lief 2007 bei RTL und Heiner Lauterbach spielte darin den überforderten Patchworkpapa eines eigenen Sohnes und dreier fremder Mädchen. Der Schauspieler behauptete einmal, dass sich die
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