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Die Patchwork-Luege

Titel: Die Patchwork-Luege
Autoren: Melanie Muehl
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versteht sich mit Wulffs großer Tochter Annalena, 16, (die bei der Hochzeit ihres Vaters unter den letzten Gästen war) bestens. Sie (…) streifte gestern schon so selbstverständlich durch den Park von Bellevue, als wenn sie dort geboren worden wäre.«
    Dass wir die Patchworkgeschichten berühmter und weniger berühmter Personen gerne lesen, leuchtet ein. Sie erzählen von Menschen, die nach jahrelangen Irrungen und Wirrungen die erfüllte Liebe erleben, jenes glückliche Ende, auf das jeder von uns hofft. Schwerer wiegt vielleicht noch, dass sich das vermeintliche Patchworkidyll perfekt in unsere Verdrängungsstrategien einfügt. Es beruhigt das Gewissen und liefert Erklärungsmuster, mit denen sich die eigene, weniger sonnige Patchworkrealität schönreden lässt. Auch Politiker sind fehlbar. Unverbindlichkeit ist ein Merkmal der Gegenwart. Die klassische Familie ist tot. Das glaubt man gerne. Solange die Patchworkfamilie des Bundespräsidenten bejubelt wird, müssen wir an unserer eigenen nicht verzweifeln.
    Die Idealisierung der Patchworkfamilien in den Zeitschriften und Zeitungen entfaltet unbemerkt ihre Wirkung und hinterlässt Spuren in unserem Bewusstsein. Wirkungsmächtiger als die Printmedien ist jedoch das Fernsehen. Seine Bilder und Botschaften sind allgegenwärtig, eigentlich ist es unmöglich, sich ihnen zu entziehen. In den Serien und Soaps treten an die Stelle der realen Patchworker aus Bild und Bunte die fiktiven Patchworker, die genau dasselbe ausstrahlen wie Christian Wulff oder Heidi Klum: Leichtigkeit.
    Die Fernsehpatchworkfamilie ist kein neues Phänomen, es gab sie bereits in den achtziger Jahren, zu einer Zeit also, als das Patchworkmodell in unserer Gesellschaft noch nicht so weit verbreitet war wie heute. Die Serie hieß: Ich heirate eine Familie . Sie war tatsächlich sehr gutund mit prominenten Schauspielern besetzt, weshalb sie eine der erfolgreichsten Serien wurde, die je gedreht worden ist. Sie erzählt vom Alltag der Familie Schumann. Angi (Thekla Carola Wied), eine hübsche, lebensfrohe Frau, ist geschieden, sie hat drei Kinder, Tanja, Markus und Tom, und eine Kinderboutique. Eines Tages verliebt sie sich in den Werbegrafiker Werner Schumann (Peter Weck), und er verliebt sich in sie. Er baut sein großes Haus aus, heiratet Angi, die mit ihren Kindern zu ihm zieht, woran sich der jahrelange Junggeselle gewöhnen muss. Angis Kinder gewöhnen sich schnell an den Stiefvater. »Tanja steht auf ihn«, sagt Angi bald zu ihrer besten Freundin, und »Tom liebt ihn«. Nur Markus will ihm noch keinen Gutenachtkuss geben.
    Manchmal sind die Kinder allerdings zu laut, und Werner kann sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren, weshalb ihm einmal nicht sofort etwas zu einer neuen Diätschokolade einfällt. Tanja findet ihren Bikini langweilig, er besteht aus zu viel Stoff, ein Tanga wäre ihr lieber, den Eltern nicht. Während eines Weihnachtsurlaubs auf den Kanaren sind die Hotelpoolliegen meistens schon vor Sonnenaufgang besetzt, aber die Schumanns stehen erst nach Sonnenaufgang auf. Irgendwann stirbt Toms Meerschweinchen Bommel.
    Ich heirate eine Familie ist eine raffinierte Serie. Sie täuscht gekonnt darüber hinweg, dass das Schumannsche Patchworkidyll auf Verlusten gründet und dass jedem Patchworkglück ein Familienunglück vorausgeht. Nur ganz wenige Szenen deuten an, dass unter der heiterenOberfläche nicht nur ein paar unwesentliche Konflikte gelöst werden. Einmal sagt Angi über einen jungen Bekannten, er hätte bei der Scheidung seiner Eltern einen Schock erlitten. »Wie überall.« Werner antwortet ihr: »Unsere Kinder haben den Schock schon überwunden.« Damit ist alles gesagt.
    Der entscheidende Punkt ist aber ein anderer: Die Serie drängt über weite Strecken die Patchworkkonstellation erfolgreich in den Hintergrund. Sie ist zwar faktisch da, doch nur am Rande wahrnehmbar, wie unaufdringliche Filmmusik, ein Rauschen aus der Ferne. Die Schumanns sind kein bunter Haufen, bei dem der Zuschauer rasch vergisst, wer eigentlich zu wem gehört, wer mit wem verwandt ist. Werner hat keine Kinder, keine Exfrau, keine Exgeliebte, keine Vergangenheit. Sein Junggesellendasein gibt er für Angi auf, als hätte er ein Leben lang auf sie gewartet.
    Werner ist genauso nett, wie er aussieht. Die Momente, in denen er seine Haltung verliert und laut wird, haben etwas Harmloses, nichts Bedrückendes. Angi ist ebenfalls so nett, wie sie aussieht. Sie lächelt Werner andauernd an, sogar wenn sie
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