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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin
Autoren: Conny Walden
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schnell niedergekämpft. Ihre Todesschreie mischten sich mit dem Prasseln der Flammen und dem panischen Stimmengewirr derer, die verzweifelt gegen die Lücke in den Palisaden drängten. Doch dort versuchte man gerade, die Tore zu schließen.
    Von den Brustwehren aus empfing die Angreifer ein Pfeilhagel. Einige der Uiguren wurden aus dem Sattel geholt, aber noch ehe die tangutischen Bogenschützen ihren zweiten oder dritten Pfeil eingelegt hatten, kämpften die ersten Angreifer bereits die Wächter am Tor nieder und preschten in den inneren Bereich.
    Die ersten Uiguren hatten auch das Haus von Meister Wang erreicht. Im Vorbeijagen warf einer von ihnen eine Fackel durch das Fenster, ehe Li alle Läden schließen konnte.
    Die Fackel rollte über den Boden. Flammen erfassten einen Vorhang und papierenen Wandschmuck. Der Inhalt einer Öllampe entzündete sich, und es dauerte nur Augenblicke, bis dichter Qualm entstand.
    »Hinaus!«, hörte sie den heiseren, hustenden Ruf ihres Vaters. Sie sah seine Gestalt durch den beißenden Rauch taumeln, dann eine zweite – den Gesellen Gao.
    Das ist ihr Ziel, durchfuhr es Li mit bitterer Wut im Herzen. Sie wollen uns ins Freie treiben … uns und das Vieh!
    Der Qualm biss Li in den Augen. Zusammen mit ihrem Vater und Gao stürzte sie wenige Augenblicke später zur Tür hinaus ins Freie, wo sie die Uiguren bereits in Empfang nahmen. »Los, schneller!«, rief einer von ihnen in schlechtem, akzentschwerem Chinesisch, um dann allerdings gleich in einen Uigurendialekt zu wechseln. »Raus mit euch! Oder wir schneiden euch gleich die Kehle durch!« Das Gesicht des Uiguren war durch eine Narbe gezeichnet, die sich von der linken Augenbraue diagonal über das gesamte Gesicht bis zum rechten Mundwinkel zog. Ein Schwertstreich musste ihn auf diese Weise entstellt haben. Er trug einen Helm, dem man noch ansehen konnte, dass das Falken-Abzeichen des Herrschers von Xi Xia grob entfernt worden war – ein Abzeichen, wie es die Außenposten und Kundschafter trugen, deren Aufgabe es war, rechtzeitig vor einem Überfall zu warnen.
    Doch dazu waren jene Männer wohl einfach nicht mehr gekommen. Mochten die Götter wissen, wo jetzt die Aasfresser an ihren Gebeinen nagten. Ihre Ausrüstung hatten die Uiguren offenbar unter sich aufgeteilt.
    Wang stieß unvermittelt einen Schrei des Entsetzens aus, als er sah, dass seine Werkstatt in hellen Flammen stand. Einer der Männer war ins Innere eingedrungen und kehrte jetzt mit einem Schöpfsieb zurück, bei dem er sich wohl nicht so recht im Klaren war, ob es irgendeinen Wert besaß.
    Er warf es schließlich achtlos in den Staub, als ein Reiter heranpreschte und ihm etwas zurief. Li verstand die Worte sinngemäß. Offenbar hatten die Uiguren es geschafft, den Stadtkommandanten gefangen zu nehmen.
    Die Männer hoben die Arme hoch und stießen wilde Freudenschreie aus.
    »Das gibt ein hohes Lösegeld«, rief der Mann mit der Narbe.
    Li atmete tief durch. Darum ging es dieser Bande also in erster Linie: Lösegeld. Wer reich oder mächtig oder noch besser beides gleichzeitig war, für dessen Freiheit würde viel Silber gezahlt werden und er hatte gute Aussichten, bald schon unversehrt zurückzukehren. Das Schicksal der anderen war dagegen völlig ungewiss.
    Für uns wird niemand zahlen!, dachte Li resignierend.
    Die Kämpfe innerhalb der Befestigung waren abgeflaut. Hier und da war noch das Wimmern von verletzten Tanguten zu hören. Die Uiguren erstachen sie, um ihnen ungestört Waffen, Stiefel und Brustharnische abnehmen zu können.
    Zusammen mit den Pferden wurden Li, ihr Vater und der Geselle Gao auf den Platz vor dem Palisadentor getrieben. Rinder und Hühner liefen dort herum, und einer der Uigurenkrieger regte sich darüber auf, dass auch unreine und für Muslime ungenießbare Schweine sich hier tummelten.
    Der Narbengesichtige trat auf Li zu, packte sie am Handgelenk und entriss ihr Armreifen und Kette. Beides ließ er nach kurzer Begutachtung in den Taschen seines Lederwamses verschwinden. Dann fasste er Li grob am Kinn, bog ihren Kopf zur Seite. Durch den Druck seiner Finger auf ihre Wangen zwang er sie, den Mund zu öffnen, sodass er ihre Zähne sehen konnte. »Du siehst hübsch aus«, sagte er. »Mit etwas Glück können wir dich gut verkaufen.« Dann stieß er sie so schroff vorwärts, dass sie zu Boden fiel.
    Ihr Vater wollte ihr helfen und machte ein paar schnelle, entschlossene Schritte auf den Narbigen zu, als wollte er sich auf ihn stürzen.
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